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Maria und das weibliche Prinzip

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Das Hochfest der Aufnahme Marias in den Himmel, im Volksmund theologisch nicht ganz exakt „Mariä Himmelfahrt“ genannt, das die Katholiken am kommenden Montag feiern, erhielt durch die am 1. November 1950 in Rom verkündete Dogmatisierung der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel durch Pius XII. eine theologische Vertiefung, die aber von vielen, besonders von protestantischen Theologen, als eine Erschwerung der Ökumene, als Ausbau der dem Protestantismus fremden Mariologie empfunden und dementsprechend bedauert und abgelehnt wurde.

Daß man die Sache, auch ohne auf dem Boden des Katholizismus zu stehen, auch ganz anders sehen kann, beweist die Stellungnahme des damals noch lebenden Schweizer Tiefenpsychologen C. G. Jung, der aus einem protestantischen Pfarrhaus kommend, die Schwächen seiner Tradition und die Vorzüge des Katholizismus in vieler Hinsicht besser zu würdigen wußte als mancher Katholik. Ähnlich wie Friedrich Nietzsche, der als Pastorssohn die Nachteile der Pfarrersfamilie entdeckte und den Wert des Zölibates erkannte, hat auch C. G. Jung in diesem Dogma eine dem Protestantismus fehlende Komponente entdeckt und hochgeschätzt.

Im Gegensatz zu vielen Protestanten, die der katholischen Kirche wegen der Verweigerung der Priesterweihe der Frauen eine Wertminderung und fehlende Gleichberechtigung der Frau vorwerfen, erblickte C. G. Jung gerade in diesem Dogma die „metaphysische Verankerung der Gleichberechtigung“. Mit diesem Dogma habe die katholische Kirche das weibliche Sophia-Element, das im Protestantismus zugunsten der rein männlichen Dominanz Christi verdrängt worden sei, rehabilitiert: „Das Weibliche verlangt eine ebenso personhafte Vertretung wie das Männliche“.

Das Fest ist ein Anlaß, uns jenseits aller sonstigen Differenzen und trotz der verschiedenen Ausprägung in der gemeinsamen Überzeugung des vollen Wertes der aus Leib und Seele bestehenden Menschlichkeit, die in diesem Dogma Ausdruck gefunden hat, mit allen Christen eins zu wissen.

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