Porträt einer Familie

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Olivier Assayas "L'heure d'été" ist eine biografisch angehauchte, feinfühlig erzählte Geschichte über eine Mutter, ihre erwachsenen Kinder, Kunst und eine ungewöhnliche Liebesbeziehung.

Auch Kunstgegenstände, die im Museum zu betrachten sind, haben eine private Geschichte. Regisseur Olivier Assayas erzählt davon, wie diese Geschichte aussehen könnte - und schafft dabei ein ganz besonderes Familienporträt.

"Ich wollte auf einfachste Weise einen Lebenszyklus erzählen, der dem der Jahreszeiten gleicht ..." Olivier Assayas, jener Regisseur, der in seinen letzten Werken in dystopischen Bildern von intensiven Frauenfiguren in einer von der Globalisierung zerfledderten Welt berichtete, ist zur Familie zurückgekehrt. "L'heure d'été", die "Sommerstunde", ist die Geschichte einer französischen bourgeoisen Familie. Die Kindergeneration, mittlerweile selbst erwachsen, lebt auf der ganzen Welt verstreut und führt ein Leben, das ästhetische und finanzielle Notwendigkeiten zu vereinen versucht. Die Mutter Héléne Berthier (die französische Kinolegende Edith Scob) der drei erwachsenen Kinder Adrienne (Juliette Binoche), Frédéric (Charles Berling) und Jérémie (Jérémie Rénier) wohnt immer noch in dem Landhaus ihres verstorbenen Onkels, eines Malers der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und verwaltet das wertvolle Erbe aus Antiquitäten und Kunstschätzen gewissenhaft. Doch irgendwann, obwohl die Sommerfeste im Haus immer noch von süßer Schönheit sind, fühlt sie ihr Ende herannahen. Und sie vertraut ihrem ältesten Sohn Frédéric all die Informationen an, die er für ein Weiterverkaufen der Kunstgegenstände wissen muss: Was dies wert ist, aus welcher Werkstatt jenes stammt, und welches Museum schon lange Interesse an dem dort hat.

Als Héléne tatsächlich stirbt, fallen die Kinder aus allen Wolken. Für Frédéric ist der Verkauf der Werke unvorstellbar, wie der Regisseur im FURCHE-Gespräch erläutert: "Er weiß, dass diese Bilder die älteste Schicht seiner Familiengeschichte verkörpern, und dass er sie an seine Kinder weitergeben möchte. Er stellt die Bilder nicht in Frage, doch für ihn ist es undenkbar, diesen Teil von sich zu verkaufen." Die beiden anderen Geschwister, die außerhalb Frankreichs leben, sind pragmatischer. Adrienne, die Designerin, möchte einzelne Stücke behalten, den Rest zu Geld machen. Und Jérémie braucht für seine Familie dringend eine Finanzspritze, um im Fernen Osten ein Haus zu kaufen.

Museum hatte Filmidee

Weniger als die Geschichte der Familie ist dies doch auch eine von Kunstgegenständen und davon, wie sie zu musealen Exponaten werden. Ursprünglich stammt die Idee zu dem Film vom Musée d'Orsay in Paris, das einen Großteil der Antiquitäten für den Film zur Verfügung stellte, so Assayas: "Das Musée d'Orsay wollte zum 20. Geburtstag eine Reihe von Kurzfilmen von Filmemachern aus aller Welt. Das Projekt kam leider nicht zustande, doch ich hatte immer noch meine Notizen - und irgendwann fand jede Figur ihren Platz." Dass die prominente Schauspielerin Juliette Binoche mitspielt, ist eher ein Zufall. Sie selbst bestand auf der Mitarbeit, obwohl ihre Rolle eine der kleineren im Ensemble ist. Hauptdarsteller ist die gesamte Familie und das Haus, in dem die Vergangenheit und die Gegenwart, wenn auch nicht die Zukunft stattfindet. Assayas erzählt mit diesem Film zum ersten Mal auch ein Stück seiner eigenen Biografie. Er selbst war zwar nie Sammler, berichtet er, "aber mein Vater besaß viel Kunst. Nichts finanziell Relevantes, aber ich wuchs doch in einem Haus voller Kunstgegenstände auf. Außerdem war mein ungarischer Großvater ein Maler, meine Mutter hatte viele seiner Bilder." In nachdenklichen Gesprächen überlegen die Geschwister nach dem Tod ihrer Mutter, wie denn das war - mit dem Vater, der nie besonders wichtig war, und mit dem Onkel, der der Mutter so besonders nahe stand. Allmählich wird klar, dass Héléne zu ihrem Onkel eine liebevoll erotische Beziehung pflegte. Das regt niemanden mehr besonders auf, es ist nur ein weiteres Detail, das zum vielfältigen, eindringlichen Gesamtporträt dieser künstlerischen, klugen, streitbaren Familie beiträgt.

L'heure d'été.

F 2008. Regie: Olivier Assayas.

Mit Juliette Binoche, Edith Scob. Verleih: Filmladen. 100 Min.

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