Prinzessin Stiefelflittchen

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Elfriede Jelineks Frauen-Märchen "Der Tod und das Mädchen I-III" als Auftakt zum steirischen herbst.

Bittere Wahrheit wiegt Jelineks Frauenmärchen. Weil sie von der Schönen (Schneewittchen), Schlafenden (Dornröschen), Schreibenden (Rosamunde) erzählen, enden sie rettungslos. In drei Teile gegliedert, überschrieben mit dem an Schubert angelehnten Untertitel "Der Tod und das Mädchen I-III", sind die Dramolette als Zwischenspiele für größere Texte entstanden. Bei der österreichischen Erstaufführung der drei Prinzessinendramen im Rahmen des steirischen herbstes gab man Jelineks Sprachwerk, nach Hamburgs szenischer Missgeburt, noch einmal die Chance, Theater zu sein. Den Abend gestalten drei RegisseurInnen, deren Inszenierungen nur den alles durchsetzenden Text Jelineks teilen; mäanderartige Wortflüsse, trivial politisches Sprach- wie Schüttmaterial, tonal gestimmte Sinnbezüge, Textpassagen, philosophisch missbraucht und verbrämt.

Unter der Regie von Brigitte Landes teilen sich im ersten Drama das junge, weiße (Andrea Wenzl), das mittlere, rote (Juliane Werner) und das alte, schwarze (Josefin Platt) Schneewittchen Jelineks auf Heideggers Sein und Zeit abgemischten Text. Aus dem Wald zu Heideggers Lichtung stürzend, suchen sie stolpernd die Wahrheit, die sich in Gestalt der Zwerge versiebenfacht hat. Zwischen dem wie Bäume aufgestellten Freiwild treffen sie auf den Tod in Gestalt dreier Jäger (Daniel Doujenis, Sebastian Reiß, Dominik Warta). Als "Offiziere des Offenen" sorgen sie sich kongenial um den Zuspruch des Seins. Bevor sie die drei Schönen erschießen und diese wie Fetzen einer Beute über die Hirschattrappen hängen, stellt sich die Gretchenfrage der Metaphysik ein. Den sieben Zwergen bleibt die Wahrheit vorzulesen, den Epilog, der, auf eine den Bühnenraum abschließende weiße Stoffwand gedruckt ist, dass der Tod nun wirklich nicht lustig ist. Im zweiten Teil (Regie: Marc von Henning) wird Dörnröschen (Barbara Hammer) erweckt. Er (Gerhard Balluch) küsst sie ohne weiteres wach. Der Raum ist eine mit tief rotem Stoff überworfene Doppelbettkammer. Schauvitrinen, gefüllt mit Rosengestrüpp und zwei "bekannten" Königskronen, hängen herab. Das Betthaupt als Großflächenleinwand, auf der diverse Video-Clips eingespielt werden. Romy Schneider und Marilyn Monroe als Dornröschen der Massenmedien, Haider Hauptmann, Frosch und Fußball in der Rolle des gottgleichen Prinzen. Der Erweckerprinz ist sich seiner Macht bewusst. Begnadet mit der Wahl, zu sein, wer er möchte, unterwirft er Dornröschen im grasgrünen Froschkostüm mit angenähtem, ausgeprägt langem Penis (eine der wenigen Regieanweisungen der Autorin). Die letzte Prinzessin, Rosamunde (Isabelle Menke), schwimmt monologisierend in Jelineks Sprachfluten. Dieser dritte Part ist eine Paraphrase auf ein in Vergessenheit geratenes Stück von Helmina von Chezy, für welches Schubert die Bühnenmusik geschrieben hatte. Ruedi Häusermanns abstrakte Inszenierung kommt Jelineks Schaffen am Nächsten. Der Bühnenraum unverstellt, bespielt von einem Streichquartett, Percussion und der mit Spiegel und Aufnahmegerät bewaffneten und ertrinkenden Rosamunde; das Spiel changiert grandios zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen, zwischen Musikkrusten und Wortfetzen, als raffiniertes dramaturgisches Gestaltungsmittel. Es ist Jelineks persönlichstes Drama von der Unvereinbarkeit, Schriftstellerin, Denkerin und Frau zu sein. Ihre, "Meine Stimme. Sagt nichts" und versickert am Ende subtil in vier Aufnahmegeräten.

Weitere Aufführungstermine: 13., 14., 16., 20. und 22.11.2002, jeweils 19 Uhr Schauspielhaus Graz

Information und Karten 0316/816070

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