Schneckenpost und Schülerkost

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Dass bei der Zentralmatura in Deutsch just eine symbolschwangere Betrachtung des Bremer NS-Mitläufers Manfred Hausmann als Beispieltext ausgewählt wurde, hat Empörung ausgelöst: zu Recht, denn die mitgelieferte Biographie war um die entscheidenden Jahre verkürzt, und "Die Schnecke" (1947) auf dem Salat sollte bloß zu zeitlosen Überlegungen hinsichtlich der "Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft" anregen. Leider verbeißt sich die mediale Öffentlichkeit aber reflexmäßig in den Naziknochen, ohne den eigentlichen Skandal zu wittern: die Dummheit und Inkompetenz jener "Experten", die die "kompetenzorientierte Reifeprüfung" erfunden haben, - und ihre grenzenlose Verachtung der Literatur. Weil man sich hierzulande nicht auf eine verbindliche Leseliste einigen konnte, wird Literatur auf Häppchen in Schneckengröße geschrumpft. Wo es gilt, Schüler auf Textsorten wie "Meinungsrede" und "Empfehlung" zu trainieren, verschwindet die Kunst aus dem Unterricht. Und während man von kritischem Denken und mündigen Bürgern schwafelt, müssen die AHS-Maturanten in Englisch einen "essay" darüber schreiben, ob Geld glücklich macht, und dazu noch einen "report" über den Segen von Sponsorship für die Schule.

Der "vollständige Bankrott schulischer Fachkultur von oben" (Germanist Werner Michler) legt gewisse Fragen nahe: Ist das Wundermittel Zentralmatura eine Propagandalüge? Wer braucht das BIFIE? Soll man nicht gleich das WIFI nehmen? Für die Matura 2015 empfiehlt sich Christian Morgenstern, "Gespräch einer Hausschnecke mit sich selbst": "Soll i aus meim Hause raus?/Soll i aus meim Hause nit raus? (...)/Rauserauserauserause .../(Die Schnecke verfängt sich in ihren eigenen Gedanken oder vielmehr diese gehen mit ihr dermaßen durch, daß sie die weitere Entscheidung der Frage verschieben muß.)"

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin

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