Schönheit ist ganz umsonst

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Die dünne Schneedecke auf dem Pultdach der Akademie der Wissenschaften gleitet nicht wahrnehmbar langsam nach unten. Weit über den Dachrand hinaus bildet sie eine elegante Kurve. Verharrt, bricht. Ein Stück nach dem anderen fällt. Das Verhüllte kommt zum Vorschein, ein leeres Dach.

Zehn Meter tiefer ist von Stille und langsamem Erscheinen nichts zu merken. Dort wird die weiße Decke, kaum dass sie liegt, durch Salz und Split in Schmutz verwandelt. Geschenkte Schönheit wird zerstört und durch künstliche ersetzt. Lichtgirlanden, Kugeln, Luster, schimmernde Schaufenster und bestrahlte Fassaden, sie stellen teuer her, was umsonst zu haben wäre - Schönheit.

Weihnachten macht deutlich, wo wir stehen, zu allen Zeiten des Jahres. Geschenktes wird zerstört, und an seine Stelle mit großem Aufwand anderes gesetzt.

Der große englische Dichter Gerard Manley Hopkins, ein Jesuit, dessen Werk erst dreißig Jahre nach seinem Tod entdeckt wurde, schrieb am 8. April 1873 in sein Tagebuch: "Der Eschenbaum in der Ecke des Gartens wurde gefällt. Er wurde zuerst gestutzt: ich hörte das Geräusch und indem ich hinausschaute und sah wie er verstümmelt wurde kam da in jenem Augenblick ein tiefer Stich und ich wünschte mir zu sterben und nicht mehr die Inbilder der Welt zerstört werden zu sehen."

Sicher, Schneeräumung und freie Fahrbahnen sind notwendig. Doch wer sieht über all dem, was wir für uns als notwendig und unverzichtbar erachten, die im Stillen geschenkte Schönheit? Wer lässt es sich zu Herzen gehen, dass die geschenkten Wunder immer mehr verdrängt werden von der aufreizenden Oberflächlichkeit hergestellter Zauberwelten? Geschenkte Schönheit wird nicht gelitten. Sie wird durch erzeugte ersetzt, die teuer zu bezahlen ist.

* Der Autor ist Kunsthistoriker und Rektor der Jesuitenkirche in Wien

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