Von Zauber und Poesie der Dinge

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Am 13. April 1873 notierte der englische Jesuit und Dichter Gerard Manley Hopkins in sein Tagebuch: "Der Eschenbaum in der Ecke des Gartens wurde gefällt. Er wurde zuerst gestutzt: ich hörte das Geräusch und indem ich hinausschaute und sah, wie er verstümmelt wurde, kam da in jenem Augenblick ein tiefer Stich und ich wünschte mir zu sterben und nicht mehr die Inbilder der Welt zerstört zu sehen“ (aus "Journal“, übersetzt von Peter Waterhouse, Salzburg und Wien 1994, S. 169).

Es scheint ein wenig übertrieben, sich wegen eines gefällten Baums gleich in den Tod zu wünschen. Andererseits: Wie dankbar bin ich für Menschen, denen die zunehmende Verflachung der Welt, das Absinken ihrer Erscheinung ins Hässliche, die Auflösung des Ungewöhnlichen ins Belanglose nicht gleichgültig ist. Die Waren des täglichen Konsums werden freudlos empfangen, Gegenstände erworben und verbraucht, Beziehungen sind bald uninteressant, Sinn wird angeboten und halbherzig genossen. Wie wunderbar ist es da, jemandem zu begegnen, dem die Zerstörung von "Inbildern der Welt“ zu Herzen geht. Wirklich zu Herzen geht. "Inbilder der Welt“: In ihnen leuchtet etwas auf vom Zauber und der Poesie der Dinge, in ihnen geben sich Tiefe, Schönheit und Sinn der Erscheinungen zu erkennen. Das muss nicht etwas Umwerfendes, Atemberaubendes sein. Es genügt das Unscheinbare. Ein Vogel, eine Katze, eine Blüte, ein Baum, die Bewegung einer Hand - in all dem kann etwas vom Wunder der Gegenwart anschaulich werden.

Auf die Frage: "Und warum lebst du?“ hat Meister Eckhart einmal geantwortet: "Meiner Treu, ich weiß es nicht - ich lebe gerne!“ Wer das sagt, weiß auch, dass es etwas gibt, das ihn dazu verlockt, gern zu leben, etwas, das um dieses Gern in ihm wirbt. Im Säkularen wie im Religiösen, im Großen des Staates wie im Kleinen der privaten Bereiche wird eine Kultur dann Bestand haben, wenn ihre Träger Orte schaffen, wo um dieses Gern geworben wird. An der Gestaltung solcher Orte noch aufmerksamer mitzuwirken, scheint mir ein guter Entschluss am Beginn dieses Jahres.

Der Autor ist Rektor der Jesuitenkirche in Wien

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