6574790-1950_38_09.jpg
Digital In Arbeit

Dichter der östlichen Erde

Werbung
Werbung
Werbung

Wer Wiecherts letztes Werk, den Roman „Missa sine nomine“ , gelesen hat, mußte auf den Tod des Dichters vorbereitet sein. Das Buch ist von einem Manne geschrieben, der weiß, daß er abberufen ist. Den Fluch des Ruhmes hat er hinter sich gelassen. Denn was ist der Ruhm heute mehr? „Aber alle, um die die große Einsamkeit schweigt, sind ernst, und die meisten sind wahrhaftig. Es ist niemand da, vor dem sie eine1 Rolle spielen könnten ... Niemand, vor dem es lohnte, eine freundliche Lüge zu sprechen. Der Spiegel, vor dem sie leben, ist unbestechlich. Es gibt keinen Beifall für sie, keinen Hervorruf. Es ist nicht Theaterzeit für sie, sondern Gerichtszsit...“ Damit ist angedeutet, was Ernst Wiechert im

KurtDesdiVerlag, München. letzten Selbstgericht seiner Dichtung, dem Roman, der mit dem Larghetto aus Mozarts letztem Klavierkonzert ausklingt, geleistet hat. Manche Verehrer seiner Kunst werden vielleicht Werke einer seiner früheren Epochen noch höher stellen. Aber wie selten ist es einem Künstler vergönnt, die ihm aufgetragenen Dissonanzen zu versöhnen, das letzte Worte zu sagen, soweit dies sagbar ist! über „Missa sine nomine“ hinaus ist eine Fortsetzung dieses mehr als drei Jahrzehnte umspannenden Werkes kaum denkbar. Die Zeit hat sich in diesem Werke ereignet; zuletzt hat es sich aufgeschwungen; das Abschiedswort ist „Friede“, der nicht in der Zeit ist. Aber im Ringen mit der Zeit hat es Wiechert gefunden. Er hat es zurückgewonnen aus der verlorenen Heimat, die ihm wohl alle Motive seines Lebens und Gestaltens geschenkt hat; die auszusagen, zu überliefern, zu verklären sein Auftrag war.

Sein Tod im August des Jahres 1950, einem Augenblick, da wieder Brücken einzustürzen scheinen, könnte etwas Erschreckendes, Symbolisches haben, wie ja der ganzen Erscheinung Wiecherts etwas Symbolisches eigen ist. Er war wie ein verirrter Klang, Musikant, Fabulierer aus dem bunten nordöstlichen Lande, das nicht mehr ist. Er muß den weißen Sand der Dünen, .den der Wind in das Haff trieb“, geliebt haben wie der umhergetriebene Chopin die polnische Erde. Da er nicht in seiner Heimat war, so war er nicht am rechten Ort. Wie fremd erschien er in der oberbayrischen Landschaft, die er doch gepriesen hat; wie fremd mag er am Züricher See erschienen sein, dem er doch so dankbar war! Das Leiden, das Schweigen, das Hervorbrechen der Naturmacht und das Geborgensein in ihr, das Ineinanderwogen von Gut und Böse, Auflehnung, endlich Ergebung, Frommsein: das alles spielte sich an dem einzigen Ort seines Lebens ab, von dem „Wälder und Menschen“ erzählen. Wiechert selbst war ein Abschied: das Einmünden eines Klanges in unsere Sprache, der vielleicht nicht mehr gelebt werden wird.

Daß den dritten Band der „Jeromins-kinder“ die „Geschichte geschrieben hat“, wie es im Nachwort des zweiten heißt, das hat auch Wiecherts Leben und Dichten entschieden, in gewissem Sinne vielleicht vorherbestimmt. Er hat nicht allein für die Menschlichkeit gezeugt und gelitten; er mußte seiner ganzen Natur nach auftreten gegen diejenigen, die seine Heimat ins Verde'rben stießen. Indessen ereignet sich zwischen Westen und Osten eine Auseinandersetzung in wörtlichem Sinne: was ineinander geschlossen war, das wird „auseinander gesetzt“. Es gehört zu der heillosen Tragik dieses Vorgangs, daß die vorbereitenden vermittelnden Zonen aufgezehrt werden: das Baltikum und Ostpreußen, Schlesien, das Sudetenland und mit ihnen die großen Möglichkeiten ihrer Städte. Damit verändern sich Geist und Kunst: Hauptmann konnte Schlesien so wenig überleben wie Käthe Kollwitz Ostpreußen; Wiechert behauptete sich, bis er in der Fremde den letzten Auftrag seiner Herkunft erfüllt hatte. Freilich: nun kommt es darauf an, ob die Menschen, die dem Zauber seiner Kunst folgten, sein Vermächtnis annehmen und weitertragen; ob seine Absage an die Gewalt, sein Glaube an die Macht der Stille, an Segensmächte, an die Möglichkeit, das- Böse durch das Opfer zu überwinden, in den Daseinsgehalt des Volkes'eingehen, für das er gedichtet hat.

Von der Persönlichkeit Ernst Wiecherts zu sprechen, seiner eigentlichen, durch die Unseligkeit des öffentlichen Lebens vielfach verdeckten Gestalt, ist fast nicht möglich. Als mich — ich glaube im August 1939 -~- Leo von König zu einem Besuche bei Wiechert mitnahm, fuhren wir von Tutzing über den See; der Dichter holte uns am Ufer ab und wir verbrachten einen Nachmittag auf seinem Hofe. Ich traf ihn wieder in Berlin im Hause Leo von Königs und konnte ihn im Jahre 1941 noch einmal auf seinem Hofe besuchen. Von Buchenwald sprach er nicht. Aber er hatte eine Art, Erfahrenes mitzuteilen, die keines Wortes bedurfte. In dem kleinen Arbeitszimmer im oberen Stock, dem bescheidensten Raum des schönen Hauses, wo er, eine ihm vor langer Zeit von Käthe Kollwitz geschenkte Mappe auf den Knien haltend, schrieb, erschien er am freiesten. Er war von einer Zartheit und Rücksicht, einer Bereitschaft, sich einzufühlen, die mich immer wieder ergriff. Wohl bedrückte uns das Gefühl, daß ein Gespräch über religiöse Fragen unabweisbar sei. Wir haben es nie geführt. Ich war ihm dankbar dafür, daß er es nicht anschlug. Es war damals noch nicht Zeit. Unser gemeinsamer Freund Adelbert Alexander Zinn erzählte mir später, da er sterbenskrank im Berliner Hedwigskrankenhaus lag, wie ernst er mit Wiechert um religiöse Probleme gerungen hatte. Es war mir deutlich, daß ein Prozeß im Gange war, in den Menschen nicht unmittelbar eingreifen sollten. Wer so leidenschaftlich rechtet mit Gott, für den ist Gott Person und Macht. Vielleicht wäre es möglich gewesen, Wiechert vom religiösen Erbe seiner Heimat her anzusprechen. Aber das hätte nur ein Mensch vermocht, der aus Wiecherts Heimat war. Der Weg religiöser Entscheidung, den er zuletzt zurücklegte, ist einfach sein Heimweg gewesen. Die Kritik der Presse kann ihm kaum förderlich gewesen sein. Wie wenig haben wir noch das Gefühl für die Schwingungen der Seele, die von jenseits der Weichsel kommtl

Ihr hat Ernst Wiechert die Klanggestalt seiner Dichtung gegeben; sie ist östliche Musik, durchzogen vom Refrain der Naturgewalt und von der Stille. Selbst die Menschen sind Klänge, Akkorde; die Landschaft der Seen, Wälder, Dünen ist das Instrument. Diesem Elemente, weit mehr als dem eigentlich Erzählerischen, verdankt er seine Wirkung. Der Klang bleibt frei; er ist auf die eingebrochenen Brücken nicht angewiesen. Daß Ernst

Wiechert als Träger dieses Klanges am Ende nicht mehr Ankläger, nicht einmal mehr Fragender, nur Gebender ist: das ist zugleich seine künstlerische und seine sittliche Tat. Das Leiden allein ist es nicht mehr, das er aussagt; auf das „rechte Leiden“ kommt es an. Und mit dieser Weisheit vom rechten Leiden bewährt sich vielleicht noch einmal seine Sendung; er ist ein Vorbereiter; er soll es wohl sein. Er soll uns, denen die Entscheidung genommen ist, sagen, welche Kraft, welche Dauer im Leiden ist... Dieser Trost, dieser Auftrag können dann erst sichtbar werden, wenn ein schweres Leben vollendet ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung