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ERNST WIECHERT

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Er war wie ein verirrter Klang, Musikant, Fabulierer aus dem bunten nordöstlichen Lande, das nicht mehr ist. Er muß den weißen Sand der Dünen, „den der Wind in das Haff trieb“, geliebt haben wie der umhergetriebene Chopin die polnische Erde. Da er nicht in seiner Heimat war, so war er nicht am rechten Ort. Wie fremd erschien er in der oberbayrischen Landschaft, die er doch gepriesen hat, wie fremd mag er am Zürcher See erschienen sein, dem er doch so dankbar warl Das Leiden, das Schweigen, das Hervorbrechen der Naturmacht und das Geborgensein in ihr, das Ineinanderwogen von Gut und Böse. Auflehnung und Ergebung, Frommsein: das alles spielte sich an dem einzigen Ort ab, von dem „Wälder und Menschen“ erzählen. Wiechert selbst war ein Abschied: das Einmünden eines Klanges in unsere Sprache, der vielleicht nicht mehr gelebt werden wird.

Er hat nicht allein für die Menschlichkeit gezeugt und gelitten; er mußte seiner ganzen Natur nach auftreten gegen diejenigen, die seine Heimat ins Verderben stießen. Freilich: nun kommt es darauf an, ob die Menschen, die dem Zauber seiner Kunst folgten, sein Vermächtnis annehmen und weitertragen; ob seine Absage an die Gewalt, sein Glaube an die Macht der Stille, an Segensmächte, an die Möglichkeit, das Böse durch das Opfer zu überwinden, in den Daseinsgehalt des Volkes eingehen, für das er gedichtet hat.

Von der Persönlichkeit Wiecherts zu sprechen, seiner eigentlichen, durch die Un-seligkeit des öffentlichen Lebens vielfach verdeckten Gestalt, ist fast nicht möglich. Als mich — ich glaube im August 1939 — Leo von König zu einem Besuch bei Wiechert mitnahm, fuhren wir von Tutzing über den See; der Dichter holte uns am Ufer ab und wir verbrachten einen Nachmittag auf seinem Hof. Ich traf ihn wieder in Berlin im Hause Leo von Königs und konnte ihn noch einmal auf seinem Hofe besuchen. Von Buchenwald sprach er nicht. Aber er hatte eine Art, Erfahrenes mitzuteilen, die keines Wortes bedurfte. In dem kleinen Arbeitszimmer im oberen Stock, dem bescheidensten Raum des oberen Hauses, wo er, eine ihm vor langer Zeit von Käthe Kollwitz geschenkte Mappe auf den Knien haltend, schrieb, erschien er am freiesten. Er war von einer Zartheit und Rücksicht, einer Bereitschaft, sich einzufühlen, die mich immer wieder ergriff. Wohl bedrückte uns das Gefühl, das ein Gespräch über religiöse Fragen unabwendbar sei. Wir haben es nie geführt. Ich war ihm dankbar dafür, daß er es nicht anschlug. Es war damals noch nicht Zeit. Unser gemeinsamer Freund Adelbert Alexander Zinn erzählte mir später, da er sterbenskrank im Berliner Hedwigskrankenhaus lag, wie ernst er mit Wiechert um religiöse Probleme gerungen hatte. Es war mir deutlich, daß ein Prozeß im Gange war, in den Menschen nicht unmittelbar eingreifen sollten. Wer so leidenschaftlich rechtet mit Gott, für den ist Gott Person und Macht. Vielleicht wäre es möglich gewesen, Wiediert vom religiösen Erbe seiner Heimat her anzusprechen. Aber das hätte nur ein Mensch vermocht, der aus Wiecherts Heimat war. Der Weg religiöser Entscheidung, den er zuletzt zurücklegte, ist einfach sein Heimweg gewesen. Wie wenig haben wir noch das Gefühl für Schwingungen der Seele, die von jenseits der Weichsel kommen.

Ihr hat Ernst Wiechert die Klanggestalt seiner Dichtung gegeben; sie ist die östliche Musik, durchzogen vom Refrain der Naturgewalt und von der Stille. Selbst die Menschen sind Klänge, Akkorde; die Landschaft der Seen, Wälder, Dünen ist das Instrument. Diesem Elemente, weit mehr als dem eigentlichen Erzählerischen, verdankt er seine Wirkung. Der Klang bleibt frei; er ist auf die eingebrochenen Brücken nicht angewiesen. Daß Wiechert als Träger dieses Klanges am Ende nicht mehr Ankläger, nicht einmal mehr Fragender, nur Gebender ist: das ist zugleich seine künstlerische und seine sittliche Tat. Das Leiden allein ist es nicht mehr, das er aussagt; auf das „rechte Leiden“ kommt es an. Und mit dieser Weisheit vom rechten Leiden bewährt sich vielleicht noch einmal seine Sendung; er ist ein Vorbereiter; er soll es wohl sein. Er soll uns, denen die Entscheidung genommen ist, sagen, welche Kraft, welche Dauer im Leiden ist... Dieser Trost, dieser Auftrag können dann erst sichtbar werden, wenn ein schweres Leben vollendet ist.

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