Sie ging unbeirrbar ihren Weg

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Sie starb vor 150 Jahren: Annette von Droste-Hülshoff, eine mutige Frau und engagierte Dichterin im Spannungsfeld von Berufung, Konventionen und Liebe.

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Sie starb vor 150 Jahren: Annette von Droste-Hülshoff, eine mutige Frau und engagierte Dichterin im Spannungsfeld von Berufung, Konventionen und Liebe.

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Sie gilt mit Recht als die größte Dichterin Westfalens, denn es gelang ihr, Landschaft, Gesellschaft und Geschichte ihrer Heimat so zu schildern, wie sie vor ihr nie dargestellt worden sind. Ihre Reife und Vollendung gewann sie allerdings durch die Aufenthalte in Meersburg am Bodensee, dessen Umgebung sie zu tiefempfundenen Naturschilderungen inspirierte.

Für die Droste wurde der Bodensee zum Dreh- und Angelpunkt einer neuen Welt. Hier konnte sie freier atmen, hier konnte sie vielen Drangsalierungen und familiären Pflichten entfliehen; hier stellte sich auch gesundheitliche Erholung - zumindest vorübergehend - ein. In Meersburg war sie ungemein schöpferisch, nicht zuletzt durch die Anwesenheit von Levin Schücking, einem Literatur-Kollegen, mit dem sie tiefe Freundschaft verband. "Wir haben doch ein Götterleben hier geführt" resümierte die Autorin in einem Brief später Schücking gegenüber, und "Unser Zusammenleben ... in Meersburg (war) gewiß die heimischeste und herzlichste Zeit unseres beyderseitigen Lebens, und die Welt kömmt mir seitdem gewaltig nüchtern vor".

Als Wahrzeichen der Stadt Meersburg thront die guterhaltene Wehranlage seit Jahrhunderten über dem See. In ihren Mauern starb von 150 Jahren, am 24. Mai 1848, Annette von Droste-Hülshoff im 51. Lebensjahr; sie wurde am Meersburger Friedhof begraben. Über Einladung ihrer Schwester Jenny, die den Burgherrn von Meersburg, Freiherr Joseph von Laßberg geheiratet hatte, kam sie dreimal zu Besuch.

Die zeitraubenden, strapaziösen und kostspieligen Reisen von Westfalen nach Meersburg bewältigte die Droste trotz körperlicher Beschwerden mit unbeirrbarer Zähigkeit und Ausdauer. Sie wußte, das milde Klima am Bodensee werde ihr Erleichterung verschaffen. Sicher brauchte sie auch die volle Konzentration für ihre dichterischen Aufgaben.

Ihrem Freund Levin Schücking verschaffte sie für einige Monate eine Bibliothekarsstellung bei ihrem Schwager, der ein leidenschaftlicher Sammler mittelalterlicher Handschriften und kostbarer alter Bücher war. Ludwig Uhland, Gustav Schwab, Jacob Grimm, Hoffmann von Fallersleben und viele andere Dichter und Gelehrte nützten die Gastfreundschaft Laßbergs und die Schätze seiner Bibliothek. Mit einigen war die Droste befreundet, mit vielen auf kritischer Distanz, denn mit erbarmungsloser Schärfe entlarvte sie Eitelkeiten und menschliche Schwächen.

Höheres Honorar als Nikolaus Lenau Wie wichtig ein kritischer Förderer wie Schücking für die Dichterin war, wird aus Briefen deutlich. " ... ich denke immer an dich - immer, ... mein Talent steigt und stirbt mit deiner Liebe ..."

Seine Abreise im April 1842, um eine Hauslehrerstelle beim Fürsten von Wrede in Eßlingen anzutreten, bedeutete für die Droste den Verlust eines ihrer wichtigsten literarischen Ansprechpartner. Schücking setzte sich allerdings für die Herausgabe ihrer Gedichte in Deutschland mit Erfolg ein und wurde - in der Ferne - ein wichtiger Fürsprecher bei Zeitungen und Verlegern.

Die enge Freundschaft mit dem um 17 Jahre jüngeren Levin Schücking verlieh ihren Gedichten leidenschaftliche Tiefe, schmerzhafte Ausbrüche und letztlich Resignation. Mit Schücking zu leben blieb ein Wunschtraum, der im Sand verlief, an den Konventionen scheiterte. Der weit realistischer denkende Schücking machte eine "passende" Partie und verletzte damit Annette tief, was sie allerdings zu verbergen wußte.

Während ihres zweiten Besuches wurde die Droste zur Grundbesitzerin. Sie ersteigerte ein in den Weinbergen gelegenes Häuschen, das sogenannte Fürstenhäusle, mit dem dazugehörenden Rebgelände. Daß eine Adelige ohne Begleitung in eine Männerdomäne eindringt und sich persönlich an einer Versteigerung beteiligt, verursachte viel Gerede und Kopfschütteln. Aber Annette wußte, was sie wollte, und verfolgte zielstrebig ihren Wunsch nach einer ungestörten Dichter-Klause. Den sehr günstigen Kaufpreis von 400 Reichstalern konnte die Autorin später vom Honorar ihrer zweiten Gedichtausgabe bestreiten, für die ihr der Verlag Cotta, nach zähen Verhandlungen Schückings, ein Honorar von 500 Reichstalern zahlte (mehr als zum Beispiel Nikolaus Lenau bei Cotta erhielt).

Das Fürstenhäusle - benannt nach den fürstbischöflichen Vorbesitzern - wurde eine stimmungsvolle Gedenkstätte mit Gemälden, Fotografien und zierlichen Möbeln; da sie unverheiratet blieb, vermachte sie diesen Besitz den Töchtern ihrer Schwester Jenny. Hier erfährt auch der Besucher, daß Annette nur 1,48 m groß (klein) war und sich in den kleinen Zimmern durchaus wohlfühlen konnte.

Sie war auch extrem kurzsichtig, doch eitel genug, um keine Brille in der Öffentlichkeit zu tragen. Winzig, oft nur mit einer Lupe zu lesen, waren auch ihre Niederschriften, die auf Papierfetzen, Bögen, auf Scheine oder in Heften Platz fanden. Sie selbst hatte später Mühe, dieses heillose Chaos zu entziffern. Ihr früher Tod verhinderte, daß Annette dauerhaft im Fürstenhäusle wohnte.

Vielfach unbekannt ist, daß die Dichterin auch eine gute Musikerin war. Bereits im Elternhaus erhielt sie eine solide musikalische Ausbildung. Es war die Zeit der Romantik, die Zeit, als das Volkslied wiederentdeckt wurde; so verwundert es nicht, daß die Droste Volkslieder bearbeitete und später Gedichte von Byron, Goethe und Brentano vertonte. Ihr Schwager Laßberg berichtet einem Freund, daß die Schwägerin "mit einer brillanten Singstimme und wirklich gründlichen musikalischen Talenten und Fertigkeit" ausgestattet sei. Ihre Lieder mit Sologesang und Klavierbegleitung wurden im Jubiläumsjahr neu aufgelegt.

Ihr Onkel, Maximilian von Droste-Hülshoff, hat sich der Kirchenmusik verschrieben, dessen "Messe in C" Joseph Haydn 1800 in Wien aufführte.

Erzählungen wie "Die Judenbuche", "Bilder aus Westfalen", lyrische "Heidebilder" und Gedichte über Meersburg, Balladen, das Epos "Das Hospiz auf dem Großen Sankt Bernhard" sowie ihre langen Briefe mit Impressionen über ihre Reisen zeigen alle Facetten der Dichterin. Daß sie sich als unverheiratete Frau in einer von Männern dominierten Welt durchzusetzen wußte, offenbart die Biographie dieser bemerkenswerten Persönlichkeit.

Die Zitate stammen aus "Annette von Droste-Hülshoff am Bodensee", ein Reiseführer, Turm Verlag, Meersburg.

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