Sophokles' und Becketts Schatten

Werbung
Werbung
Werbung

"Warten auf Godot" und "Prophet Pasolini" im Salzburger Schauspielhaus.

Godot wurde zum Synonym für den, der nie kommt. "Gehen können wir nicht. Denn wir warten auf Godot": Wladimir und Estragon kleben unter ihrem Baum fest. Absurdes Theater? Wenn irgendwo eine Ethik der scheinbaren Sinnlosigkeit geschrieben wurde, dann von Samuel Beckett in "Warten auf Godot". Und im Schauspielhaus Salzburg entstand ein interessantes Kräfteparallelogramm mit dem "Propheten Pasolini". Dieses Stück von Barbara Nicolier basiert auf Pier Paolo Pasolinis "Affabulazione oder Der Königsmord. Pylades". Es zeigt das Ödipus-Problem von der Seite des Sohnes her, den Vatermord umkehrend in einen Sohnesmord. Schichten des Unbewussten, im Grunde auch wieder des Absurden, sind unmöglich aufzuarbeiten. Der Vater fühlt sich vom Heranwachsen des Sohnes, das ihn sein Geschlecht und seine Fähigkeit erkennen lässt, selbst Vater zu werden, ausgeschlossen. Er tötet ihn. Archetypen prallen aufeinander, etwa in dem Sinne: Der Vater ist der Mensch, von dem ich keine Mitteilung besitze. Und zusätzlich geht es um die Aufhebung der "alten" Zeit, um "Entwicklung", den Grundstrom im schriftstellerischen und filmischen Schaffen Pasolinis, der ja selbst durch Erschlagen zu Tode gebracht wurde.

Im Stück hat das Wort Vorrang vor der Aktion: "Wer zu euch spricht, ist des Sophokles' Schatten." Was Robert Pienz im "Godot" ausspielen lässt - Pausen, Stille -, treibt Nicolier in einer Parforce-Jagd der Sätze in die Ohren der Zuschauer: zu schnell, um sofort mit erstmaligem Hören und Verstehen dem anspruchsvollen Text folgen zu können. Dennoch: Christoph Kail, Bernadette Heidegger, Harald Fröhlich, Daniela Enzi, Nicolas Marchand (überzeugend als Sohn), Christiane Warnecke und Georg Reiter verhelfen dem "Propheten Pasolini" zum zweiten Erfolg dieser Spielzeit nach dem ersten mit "Warten auf Godot", wo Olaf Salzer (Wladimir) und Marcus Marotte (Estragon) sowie Christoph Kail (Pozzo) und Florian Kail (Lucky) die Einsamkeit und die Suche nach sinnvoller Kommunikation spürbar ausbreiten können. Mit beiden Stücken hat das Schauspielhaus die Linie seit der Gründung der ursprünglichen Elisabethbühne erfolgreich fortgeführt, nämlich den existenziellen Humanismus der Theaterliteratur auf sehr eigenständige Weise zu pflegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung