Stille Buchten im Mainstream

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Wir fahren ins Land von Paul Cézanne. Drei Tage Stau auf Autobahnen. Man bereut alles: den Entschluss zur Reise, die Entscheidung fürs Auto, für die Route, für die Zeitplanung … Man hält sich für einen konformistischen Simpel, der in der Herde nach Südfrankreich trabt. Urlaub im September als schlaue Alternative zum Massentourismus? Die vermeintlichen Individualisten sind längst ebenfalls Masse.

Gewappnet nach Aix. Beim Atelier von Cézanne erwartet man ein Besucherzentrum, Menschenschlangen, die schlimmsten Begleiterscheinungen vermarktbarer Authentizität. Und dann? Alles anders. Es gibt sie noch, die stillen Buchten im Mainstream. Ein bescheidenes Haus, nur eine Handvoll Touristen im Garten, ein Entree mit knarrenden Dielen - und dann ist man in dem Raum, wo Cézanne vor ein paar Minuten die Tasche mit dem Malzeug abgestellt hat, den Mantel abgelegt, zurück vom Motiv. So wirkt das. Bonjour, Monsieur Cézanne, wie ist Ihnen die Montagne Sainte-Victoire heute gelungen?

Tag für Tag ist Cézanne hinausgegangen vor das Kalkmassiv, wieder und wieder hat er den Berg gemalt. Ohne diese Bilder hätte Picasso den Kubismus nicht gewagt. Cézanne war 67, als er starb, und sein Werk war bis zu seinem Tod umstritten. Picasso wurde 91 und schon zu Lebzeiten ein Superstar. Im Alter kaufte er sich einen Wohnsitz in der Nachbarschaft von Cézanne. Kein schlichtes Haus sondern ein Schloss. Die hübsche Pointe ist, es liegt auf der Rückseite der Sainte-Victoire. Ist das Picassos Respektabstand? Oder ein Versuch, hinter das Motiv zu blicken, dem Geheimnis des Vorgängers à rebours auf die Spur zu kommen? In Vauvenargues ist der Meister ganz nah, verletzlich. Schloss Vauvenargues darf man nicht betreten. Auch hier keine Menschenschlangen, doch wieder eine unvermutet intime Begegnung, ein überraschendes Geschenk.

Die Autorin ist Direktorin des Lentos Kunstmuseums Linz

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