Trotz der Kürze zuwenig Würze

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Im Fegefeuer werden ein paar brillante und viele müde Wortwitze gerissen: George Taboris Abschied mit einem Nichts von Stück.

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Im Fegefeuer werden ein paar brillante und viele müde Wortwitze gerissen: George Taboris Abschied mit einem Nichts von Stück.

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Die einst so gefürchteten Theaterkritiker der Wiener Tageszeitungen verfuhren mit dem letzten Stück, das George Tabori in Wien geschrieben und im Akademietheater inszeniert hat, allzu gnädig. Hätte ein Unbekannter diesen Text eingereicht, hätte der wohl nie das Rampenlicht erblickt. Denn bei aller Bewunderung für Taboris Geniestreiche wie "Mein Kampf", "Weißmann und Rotgesicht" oder "Goldberg-Variationen": "Purgatorium" ist nicht nur ein kurzes, sondern leider auch ein schwaches Stück.

Nun merkt man die Pranke des Löwen, die Pranke eines Tabori freilich selbst dann, wenn ihm schon gar nichts mehr einfällt. Im konkreten Fall macht er aus einem Minimum von Einfall ein Kabinettstück des Minimalismus.

Churchill, Roosevelt und Stalin treffen sich im Fegefeuer - wäre Hitler dabei, könnte einer der vielen Witze so begonnen haben, die man sich in der Nazizeit zuraunte. Das "Purgatorium" findet aber auf der Bühne des Akademietheaters statt, und Tolstoi (Jevgenij Sitochin), Proust (David Bennent), ein Ungar (Florentin Groll) und die Schauspielerin Sarah Bernhardt sind auch dabei, nicht zu vergessen Ursula Höpfner als ungemein quirliger Styx, der die armen Seelen zur Strafe für ihre Sünden zwingt, deutsch zu reden, was für sie fast so schlimm ist, wie ein bißchen im Fegefeuer zu schmoren. Mit den Versprechern, die sich daraus ergeben, und der Gedächtnisschwäche der alten Herren rettet sich Tabori über die Runden, wie hieß er bloß, dieser toi-toi-Tolstoj, wie schön, wenn einem wenigstens "Mutter Courage und ihre drei Schwestern" noch einfällt. Damit hat es sich im großen und ganzen auch schon.

Doch zwei- oder dreimal blitzt etwas auf, woran man sich später noch erinnert - mit dem Gedanken, daß daraus andere vielleicht ein ganzes Stück gemacht hätten. Und wie gut es ist, daß Tabori eben dies nicht tat. Für die Botschaft, daß Winston Churchill gegen die deutschen Nicht-Gentlemen nicht gentlemanlike vorging, der Rolf Hochhuth einst eine seiner Schwarten widmete, benötigt Tabori nur einen Schlenker. Und wenn er Roosevelt beichten läßt, daß er wußte, daß die Japaner Pearl Harbor angreifen würden, ihm dies aber gerade recht kam, weil Amerika in den Krieg gegen Hitler eintreten mußte, aber nicht so recht wollte, ist Tabori nicht nur auf der Höhe der Zeitgeschichte, sondern trifft auch mit einem schnellen Stich ins Schwarze.

Leider geht er, wenn er wesentlich wird, so konsequent minimalistisch vor, daß rundherum furchtbar viel leerer Raum bleibt. Um sieben beginnt das Stück, um viertel neun steht man schon wieder vor der Tür. Trotz dieser Kürze erweisen sich die Kalauer, die den Hauptteil ausmachen, als zu schwach, um dieses Nichts von Stück, mit dem sich der Autor Tabori leider sehr wenig angetan hat, zu tragen. Hingegen erweist sich die Zurückhaltung des Regisseurs Tabori, der Verzicht auf Mätzchen, die Beschränkung auf sparsame Gänge zwischen Stühlen, als Stärke. Das nicht Allzuviele, das der Text bietet, kommt dabei immerhin zur Geltung. Es bedarf aber viel guten Willens, um seine Qualitäten zu entdecken.

Die Schauspieler retten den Autor, den Regisseur, alles, was irgend zu retten ist. Minimalistisch spielen sie das Minimum von Stück. Heinz Schubert braucht als Churchill nur seine Wangen etwas zittern, Rudolf Melichar Roosevelt eine schnodderige Bemerkung machen zu lassen, und auch Stalin ist eigentlich ein lieber jähzorniger Kerl, der dem Schauspieler Hans Dieter Knebel mehr ähnelt als sich selbst.

Im Fegefeuer ist sowieso nichts mehr zu ändern, folglich alles gleich, und ob ihnen verziehen wird oder sie zur Strafe für ihre Sünden in alle Ewigkeit ihre Kalauer anhören müssen, erfährt man sowieso nicht. Falls sie in den Himmel dürfen, werden sie dort gewiß in alle Ewigkeit Anne Bennent in der Rolle der Sarah Bernhardt anhimmeln. Falls Tabori noch ein bißchen mehr einfällt, kann er das Stück dann einfach "Bennent" nennen. Oder "Churchill, Roosevelt, Stalin, Bennent."

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