Im Lachen an den Schmerz erinnern

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George Tabori, einer der wichtigsten Dramatiker der Gegenwart, wird 90. Spätestens jetzt sollte man auch einmal seine Romane lesen.

Es gibt keine Inszenierung, die ich öfter gesehen habe, als George Taboris Goldberg-Variationen im Wiener Akademietheater. Mindestens fünf Mal habe ich als Studentin von meinem Stehplatz aus dem kongenialen Schauspielerduo Gert Voss und Ignaz Kirchner zugehört, zugesehen und jedes Mal neue Dimensionen, neue Fragestellungen für mich entdeckt. Taboris Schöpfungs- und (Un)Heilsgeschichte, die er als Dramaturgieentwicklung für ein Theaterstück darstellte, unterhielt bestens und erschütterte zutiefst, ging unter die Haut. Ein Markenzeichen Taboris.

Witze sind todernst

George Tabori hat zwischen 1987 und 1999 in Wien ganz besondere Spuren hinterlassen, seine vielleicht besten Stücke am Burg- bzw. Akademietheater inszeniert: "Mein Kampf", "Weisman und Rotgesicht", "Babylon Blues", "Othello", "Goldberg-Variationen"... Seine Aufführungen haben für Begeisterung und Unverständnis gesorgt, seinen grotesken Witz hat nicht jeder verstanden (kann man ihn verstehen?) bzw. akzeptieren können.

Taboris Verständnis von Humor ist einerseits vom jüdischen Witz geprägt, andererseits auch von der angelsächsischen Tradition, Tragisches und Komisches zu mischen. Der Witz ist, so Tabori, eine todernste Angelegenheit, der Inhalt des Witzes immer eine Katastrophe. Der Witz hat therapeutische Wirkung, Lachen bedeutet Erleichterung, ermöglicht das Ertragen des Schmerzes. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch verstehen, dass selbst Hitler in "Mein Kampf" zum Thema einer Farce werden konnte.

Natürlich sorgte und sorgt die Frage, ob man über Auschwitz lachen dürfe, für Diskussionen, für Betroffenheit, für Empörung und bei jenen, die lachten, zumindest dafür, dass ihnen das Lachen im Hals stecken blieb. Genau das ist es: Taboris Stücke erinnern noch und gerade im Lachen an den Schmerz. Als Motto für "Mein Kampf" etwa stellte er ein Hölderlin Zitat voran: "Immer spielt ihr und scherzt? ihr müßt! o Freunde! mir geht dies / in die Seele, denn dies müssen Verzweifelte nur." Nelly Sachs schrieb in einem ihrer Gedichte einst vom Offenhalten einer Wunde, die noch nicht heilen darf - Tabori ist in diesem Sinn ein Offenhalter.

Ein Leben wie ein Roman

Der jüdische Dramatiker, der an vielen Orten lebte, schreibt in englischer Sprache. Geboren wurde er am 24. Mai 1914 in Budapest. Seine Mutter war in Kroatien aufgewachsen, sein Vater zur Zeit, als der Thronfolger ermordet wurde, in Sarajevo. Taboris geografische Lebensstationen lesen sich wie eine Erkundung Europas und des Orients, seine Bekanntschaften wie eine Literaturgeschichte, sein Leben wie ein Roman.

Tabori hatte das "Glück", vor allem während des Zweiten Weltkrieges immer am Rand, nie mittendrin zu sein. Berlin lernte er während seines Hotelpraktikums kennen und erlebte dort 1933 auch Hitlers Auftritt. In London, bei seinem Bruder Paul, versuchte er sich 1935-1939 als Übersetzer und Reiseleiter. Als Korrespondent war er 1940 in Sofia, Bulgarien, danach in Belgrad. 1941 wohnte er in Istanbul und Ankara. Unter dem Decknamen Captain Turner übernahm er Kundschafterdienste für den britischen Geheimdienst, leistete 1942 Propagandaarbeit für die ungarische Abteilung der BBC in Jerusalem, wo er auch seine erste Frau kennen lernte. Ab 1943 lebte er in Kairo, Ende des Jahres musste er zurück nach London.

1947 ging Tabori in die USA, um drei Monate zu bleiben, aus denen 22 Jahre wurden. Bis 1950 blieb er in Hollywood, dann zog er nach New York. In der amerikanischen Traumfabrik war er nicht so erfolgreich, wie er arbeitete. Viele seiner Drehbuchentwürfe für den Film wurden umgearbeitet, viele nie verwirklicht. Dafür traf er William Faulkner, Arnold Schönberg, Bruno Frank, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Thomas Mann, Charlie Chaplin, Greta Garbo, vor allem aber Bertolt Brecht, dessen Stücke Tabori später ins Englische übersetzte und dessen Theatertheorie ihn im Folgenden stark beeinflusste.

Nach Deutschland

Mit dem Stück "Die Kannibalen" führte er sich 1969 im Schillertheater in Berlin ein - und sollte von da an Deutschland zu seiner vorläufigen Heimat machen. Das Stück, in dem KZ-Insassen einen Kameraden umbringen, löste zwangsläufig die Diskussionen aus, ob man Auschwitz so spielen könne. Taboris Vater war 1944 in Auschwitz ermordet worden, auch ein Großteil seiner Familie hatte die Naziherrschaft nicht überlebt, und insofern war Tabori unverdächtig, Auschwitz nicht ernst genug zu nehmen. Ihm ging es im übrigen nie um Vergangenheitsbewältigung, sondern um eine zwingende Erinnerung an den Schmerz.

Erinnerungsarbeit ist zunächst einmal die Arbeit der Schauspieler, die Tabori stets wichtiger war als ein fixer Text oder das fertige Produkt auf der Bühne, von dem er ohnehin nicht glaubte, dass es Theater je sein könne. Beeinflusst von der Gestalttherapie gab Tabori den Schauspielern die Möglichkeit, sich an den Text heranzutasten, sie riefen zunächst eigene Erinnerungen auf, versuchten ihr Unbewusstes zu erleben.

Theater wird von Menschen gemacht, von denen jeder anders ist, auch jeden Tag anders ist - diesem Umstand versuchte Tabori stets Rechnung zu tragen. Die ideale Inszenierung ist daher ein Work in Progress, die Texte verändern sich bis zur Aufführung und auch das Scheitern ist denkbar - wie im richtigen Leben.

Als Theatermacher war er längst bekannt und preisgekrönt, spät erst aber hat man hierzulande den Romancier George Tabori kennen lernen können. Erst ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen wurden einige Romane ins Deutsche übersetzt! Nun liegt rechtzeitig zu Taboris 90. Geburtstag eine schöne Kassette mit vier seiner Romane vor. Spannend ist es beim Lesen Themen und Motive aufzuspüren, die auch Taboris Theaterarbeit über Jahrzehnte prägten, Themen, die tief ins Politische, ins Existenzielle, ins Religiöse greifen - und unheimlich aktuell erscheinen.

Draußenbleiben geht nicht

Da ist etwa der 1945 erschienene Roman "Companions of the Left Hand", den Tabori im November 1943 auf dem Schiff von Kairo nach Liverpool schrieb. Der ungarische Dramatiker Stefan Farkas kommt in den italienischen Badeort San Fernando, wo er - die politische Situation völlig ignorierend - schreiben will. Ein Draußenbleiben gibt es aber nicht, auch wenn es zunächst so wirkt, als könnten die hier versammelten Bürger ihre Zeit im Hotel totschlagen und in aller Ruhe auf das Ende des Krieges warten. Es kommt nämlich zu einem Aufstand unterdrückter Arbeiter, denen Taboris Sympathie eindeutig gehört. Stefan Farkas wird gegen seinen Willen in die Wirren hineingezogen und steht plötzlich an dem Punkt, an dem es um seine ganz persönliche Entscheidung geht.

Die eigentliche Sünde

Der Roman "Original Sin", "Erbsünde" - leider mit "Ein guter Mord" übersetzt - erschien 1946 in London, ein Jahr später in den USA, und spielt in Kairo. Der Ich-Erzähler findet in der Badewanne seine tote Ehefrau. In drei Kapiteln - mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa - entfaltet sich die Vielschichtigkeit des Mordes des Ich-Erzählers an seiner langjährigen Ehefrau. Die "Beichte" deckt vermeintliche, vorgetäuschte und wahre Motive auf und rührt an Verdrängtes.

Kein böser Deutscher?

1944 veröffentlichte Tabori in London seinen ersten Roman. "Beneath the Stone the Scorpion" - ein Jahr später in Boston mit verkürztem Titel erschienen, auf deutsch "Das Opfer" - hatte er 1942/43 in Istanbul und Kairo geschrieben. Dieser Roman, auch wenn er unter einigen formalen Schwächen leidet, ist vom Thema her äußerst brisant. Er spielt 1941 in einem serbischen Dorf, verschiedene Völker und Interessen, Kollaborateure und Spione machen die Situation für alle gefährlich. Aus der Sicht eines deutschen Majors, Helmuth von Borst, wird beschrieben, wie er dem englischen Gefangenen Captain Michael Fowler zur Flucht hilft und sich danach selbst umbringt.

Der Titel greift ein Gedicht Percy Bysshe Shelleys auf, das Tabori als Motto vor den Roman gestellt hat und das von einem Skorpion unter dem Stein spricht, der von Feuer umgeben sich selbst tötet.

Dass der deutsche Major eben gerade nicht als eindeutiger Bösewicht (aber übrigens auch nicht als strahlender Held) dargestellt wird, bringt Tabori (immerhin im Jahr 1944!) nicht nur irritierte Reaktionen ein, sondern auch Schelte wegen angeblicher taktloser Objektivität. Um die ginge es ihm gar nicht, meinte Tabori später einmal, sondern um seine "gallebittere Wut über die kriegerischen Zeiten, die den Menschen zum Stereoptypen abstrahieren."

Eine höchst aktuelle Stimme, die nationale Typisierungen ebenso wie blauäugige Zuordnungen von Tätern und Opfern, von Gut und Böse zu Fall bringt. Tabori lotet in seinen Romanen menschliche Verhaltensweisen in Grenzsituationen aus, versucht den Menschen mitsamt seinen inneren Widersprüchen zu betrachten.

Tyrannenmord?

Nicht weniger aktuell und atmosphärisch packend geschrieben ist der Roman "The Caravan Passes", deutsch "Tod in Port Aarif", 1951 erschienen. Er spielt in einem fiktiven Land, charakterisiert durch Öl, Wüste und arabische Kultur - es könnte der Irak sein.

Im ersten Teil wird der Schiffsarzt Varga zufällig in die politische Situation jenes Landes, an dem sein Schiff angelegt hat, hineingezogen. Der Gouverneur ist krebskrank und möchte von Varga operiert werden. Von mehreren Personen, darunter auch der Sohn des Gouverneurs, wird Varga aber gebeten, bei der Operation des Tyrannen ein "Unglück" geschehen zu lassen, zum Wohle des Landes. Fragen nach Schuld und Verantwortung, nach Richtig und Falsch ziehen die Leser in den Bann.

Täter werden zu Opfern, Täter, die keine Täter werden wollten, werden, weil sie nichts tun, zu Tätern, werden zu Opfern der eigenen Ignoranz: "Man lebte wie ein Hund und starb wie einer; denn so waren Zeit und Ort, dass dem Gleichgültigen und dem Heillosen nicht verziehen werden kann." Ein Thema, das nicht nur jene Autoren bewegte, die Tabori offensichtlich beeinflussten, wie Albert Camus und Jean Paul Sartre, sondern aktuell ist wie eh und je.

George Tabori, verheiratet mit der Schauspielerin Ursula Höpfner, feiert am 24. Mai seinen 90. Geburtstag in Berlin, wo er zur Zeit lebt, und ist damit vielleicht wirklich der dienstälteste Theatermacher der Welt. Bei aller Buntheit und Bewegtheit seines Lebens und seiner Werke: gewissen Themen ist Tabori treu geblieben und seine frühen Werke sind bis heute lesens- und bedenkenswert.

Buchtipps

George Tabori - Die Romane

Ein guter Mord; Das Opfer; Tod in Port Aarif; Gefährten zur linken Hand

Hg. u. Nachw. v. Wend Kässens. Aus d. Engl. v. Ursula Grützmacher-Tabori Verlag Steidl, Göttingen 2004

4 Bd. in Kassette, geb., e 50,40

Der Spielmacher

Gespräche mit George Tabori. Zum 90. Geburtstag im Mai 2004. Hg. u. mit e. Vorw. v. Wend Kässens Wagenbach Verlag, Berlin 2004

158 Seiten m. Fotos., geb., e 20,10

George Tabori

Von Anat Feinberg

Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2003

189 Seiten m. Abb., kart., e 10,30

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