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Wau-wau zur SS

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Zwei Sätze in George Taboris neuem Stück „Die Ballade vom Wiener Schnitzel", fast schon am Ende des unter der Regie des Autors im Akademietheater uraufge-führten Textes, fassen wie in einem Brennpunkt Taboris Botschaft zusammen. Eine Frage, eine Gegenfrage, darin eingeschlossen das Fazit eines Jahrhunderts. Bildad: Bist du Hiob? Morgenstern: Wer ist es nicht?

Morgenstern ist Jude in Wien. Der gefürchtete Freßtester vom Krona-witter Guide geht in den Ruhestand und lüftet zum Abschied in Hermanns Schnitzel-Etablissement sein streng gehütetes Inkognito, läßt Hermann aber wissen, daß dieser nicht nur keinen Stern bekommt, sondern aus dem Kronawitter Guide gestrichen werde, was Hermann in Wut bringt: „Gebt ihm ein Schnitzel! Stopft es dem Saujud in den Schlund."

Morgenstern leidet an der Wahnvorstellung, die Nazis kämen zurück. Sicher, er ist verrückt. Aber waren die Nazis jemals weg?

Ein echter Tabori mit allen Stärken und Schwächen. Ein Stück, das mit der Aufführung steht und fällt. Und dank Gert Voss und Ursula Höpfner in den Hauptrollen, aber auch Hans-Dieter Knebel, Erich Schleyer und so fort, sehr fest steht. Viel Wortwitz, teils funkelnd („Es geht keinen Hund etwas an, wie man ihn nennt"), teils billige Kalauer, Durchhänger, aber auch Augenblicke der Präzision. Die Szene, in der sich Morgenstern vor Rriefträger, Schornsteinfeger und Hauswart im Schrank versteckt, wird auf die Spitze getrieben, bis sie ins Absurde kippt: Schwager Fritz, der eine Veterinärklinik betreibt, behandelt Morgenstern, indem er seinen Wahn ernst nimmt, steckt ihn in ein Bernhardinerkostüm („Sie lieben Hunde") und bringt ihn in die Tierklinik. „Und wenn du zufällig einen SS-Mann triffst, laß die Zunge raushängen. Sag wauwau."

Fritz beschreibt Morgenstern, was sich in den Wohnungen und Gängen des Hauses abspielt. Wie Tabori Morgenstern nochmals den Abtransport der Juden erleben läßt, wie er Entsetzen durch Slapstick-Komik bricht, auf der Schneide zwischen Geblödel und Tragik spaziert, gelegentlich aus der Balance kommt und sich wieder fängt, das macht ihm keiner nach. Und Gert Voss wird nicht so leicht jemand diesen gehetzten, vor seiner jüdischen Identität fliehenden, schließlich zu ihr und sich findenden Morgenstern nachmachen. Ein großer Narr. Ein großer Leidender. Eine große schauspielerische Leistung.

Das Stück wirkt nachtwandlerisch geschrieben, und die Front zwischen Zustimmung und Ablehnung verlief entlang jener Schwelle, an der bei vielen die Bereitschaft endet, zu tolerieren, wenn mit Entsetzen Scherz getrieben wird. Bei den therapeutischen Spielen in Fritzens Tierklinik tun manche Scherzchen tatsächlich weh. Vieles wirkt, als hätte Tabori es mit noch weniger Selbstkritik als sonst geschrieben. Umso alptraumhafter ist der Einfall, Morgenstern in einem Frisiersalon, der mittlerweile vom Teufel übernommen wurde, professionelle Hilfe bei der Erlangung eines germanischen Aussehens suchen zu lassen, worauf er prompt in eine Shylock-Karikatur verwandelt wird.

Das Stück endet auf dem verwüsteten jüdischen Friedhof mit Morgensterns Gespräch mit den Toten. Sind sie schon sehr weit weg, sind sie noch oder wieder stark da? Und ist die Nazizeit nun wirklich weit weg oder auf schwer erklärbare Weise nah? Das könnte die Frage sein, um die das Stück insistierend kreist. Wer es vorschnell als schwaches Alterswerk abtut, macht es sich viel zu leicht. Die Nazizeit ist nicht erledigt (das Unwort „bewältigt" kommt mir nicht über die Tasten), aber ein Auschwitz-Stück wie einst Peter Weiss kann man auch nicht mehr schreiben. Farce und Kalauer provozieren noch, jetzt und hier, zwingen, zu denken. In dieser Hinsicht ist Tabori radikal. Das macht seine Bedeutung aus. Zwischen der Kleiderschrank-Szene und der Friedhofs-Szene schrumpfen sechs Jahrzehnte zu einem Nichts.

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