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Schwellen inspirieren

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Im Streit um George Taboris Salzburger Inszenierung von Franz Schmidts Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln” ist hin und her genug gesagt worden, um damit ein Buch zu füllen. Sollte ein solches Buch tatsächlich entstehen, dann würde man sehen können, daß viel aneinander vorbeigeredet worden ist.

Korrekterweise würde auch die Zustimmung etlicher Katholiken zu Tabori zu dokumentieren sein, wie sie beispielsweise in einem Brief an die Salzburger Nachrichten vom 10. August zum Ausdruck kommt: „Ich gehöre zu jenen, die das Glück hatten, eine der Generalproben zu sehen ... mich hat es nicht gestört, daß diese Vorgänge in einem Gotteshaus stattgefunden haben (und ich bin Katholik und bekenne mich auch dazu). Im Gegenteil, mich hat es zutiefst erschüttert, wie Tabori und seine Mannschaft es verstanden haben, dieses Thema zu bewältigen. Daß man sich dazu der Mittel des modernen, absurden Theaters bediente, lag wohl auf der Linie Taboris.”

Chorstärke aber erreichte die Ablehnung gegenüber Tabori, und intellektuelle Redlichkeit müßte verbieten, Taboris Gegner einfach als Banausen oder Sexualneurotiker abzuqualifizieren.

Was wäre wohl geschehen, hätten die kirchlicherseits für die Kollegienkirche Verantwortlichen das Konzept Taboris von Anfang an gekannt und sogleich abgelehnt? Der Vorwurf, es werde hier kleinkarierte Zensur geübt, wäre kaum ausgeblieben. Daß Religion im eigenen Haus der Kunst Grenzen auferlegen kann, nimmt man zwar im Blick auf den Islam und eventuell auch auf das Judentum zur Kenntnis. Für die katholische Kirche will man Gleiches so leicht nicht gelten lassen und verweist dabei gerne auf große Symbiosen zwischen Kirche und Kunst in der Vergangenheit, bei denen es angeblich oder wirklich großzügiger zugegangen ist.

Nur Monsignore Otto Mauer konnte es sich anscheinend, ohne viel Widerspruch auszulösen, leisten, Grenzen für die Kunst zu postulieren. Die Schallplatte „Uber Kunst zu reden” dokumentiert im Originalton einen Otto Mauer, der sich gegen eine zum Haß, zur Menschenverachtung, zum Antisemitismus aufreizende Kunst verwahrt. Damit soll, wohlgemerkt, nicht Mauer gegen Tabori bemüht werden, wohl aber für die Möglichkeit, der Kunst Grenzen zu setzen. Auch Kirchenschwellen können eine solche Grenze sein.

Kirchlicherseits wird man solche Schwellen gegenüber der Kunst und der Gesellschaft leichter außer Streit stellen können, wenn das Gespräch mit der Kunst nicht einigen Einzelgängern und Einzelkämpfern reserviert bleibt, die im eigenen Hinterland kaum beachtet werden. In der Kirche müßte die Zahl jener anwachsen, die imstande sind, im Zuspruch wie im Widerspruch kompetent mit der Kunst zu reden. Solches läßt sich nicht verordnen, aber doch institutionell einigermaßen fördern, beispielsweise durch die theologischen Fakultäten.

Müßte nicht gerade der Streit um die Verweigerung der Salzburger Universitätskirche für Taboris Inszenierung die theologischen Fakultäten dazu bewegen, ihre Hörer endlich zum kontinuierlichen Gespräch mit alter und neuer Kunst und Literatur herauszufordern? Zusätzliche verpflichtende Lehrveranstaltungen werden freilich wenig bewirken. Vielmehr müßte der Lehrplan vom Ubergewicht didaktisch-methodischer Veranstaltungen zugunsten verdrängter Inhalte entlastet werden. Längerfristig könnte so vielleicht auch erreicht werden, daß Liturgie die mystische Dimension, die Tiefe und Schönheit in stärkerem Maße wiedererlangt - Qualitäten, deren westliche Reduktion die scharfsichtige Russin Tatjana Gori-tschewa erkannt und beklagt hat.

Die Schwellen der Kirchen werden dann vielleicht etwas höher sein als jetzt. Es würde aber wohl auch die Zahl der Künstler anwachsen, die dafür dankbar sind, weil ihnen daraus Inspiration erwächst.

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