ÜBERSETZEN als Springen, als schöner Verzicht

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Die erste Sprache erlischt nicht, die zweite verzichtet nicht auf ihr Erscheinen: Übersetzen ist Kunst -und Einübung ins "archipelische Denken". Zu Besuch bei der Übersetzerin Beate Thill.

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Die erste Sprache erlischt nicht, die zweite verzichtet nicht auf ihr Erscheinen: Übersetzen ist Kunst -und Einübung ins "archipelische Denken". Zu Besuch bei der Übersetzerin Beate Thill.

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Beate Thill sitzt in ihrem Hotelzimmer am Kurfürstendamm in Berlin und stellt zwei Mineralwasser auf den Tisch. Die in Freiburg im Schwarzwald lebende Übersetzerin und Autorin bewegt sich vorsichtig, sie muss nach einem Skiunfall einen Stützverband tragen. Trotz allem absolviert sie gerade eine Lesereise mit "ihrem" Autor Patrick Chamoiseau, der auf der Bühne sehr präsent und vital ist, was natürlich auch die Dolmetscherin fordert. Sie freut sich über seinen Erfolg mit dem neuen Roman "Die Spur des Anderen" und über Lesereisen ohnehin -da kommt sie einmal heraus aus ihrer Schreibstube und tauscht zuweilen den Schwarzwaldblick mit einem karibischen Panorama, oder mit Berlin, Hamburg, Zürich.

Konjunktur der frankophonen Literatur

Beides, Lesereisen und Schreibstube, wird Beate Thill oft genießen in nächster Zeit, erleben doch "ihre" frankophonen Autoren eine Konjunktur auf dem Markt der übersetzten Romane. Ihr Stammverlag, "Das Wunderhorn", in Heidelberg versorgt sie gut mit Aufträgen und der französische Botschafter Philippe Etienne in Berlin steht für die zuverlässige Förderung der Übersetzungen. Seit nunmehr vier Jahrzehnten übersetzt Thill Autoren des frankophonen Sprachraumes: Assia Djebar, J. M. G. Le Clézio, Patrick Chamoiseau, Abdelwahab Meddeb, Dany Laferrière. Für dessen Roman "Das Rätsel der Rückkehr" erhielt sie 2014 den Übersetzerpreis des Haus der Kulturen der Welt 2014.

Unser Gespräch hat weniger mit ökonomischen Potenzialen zu tun, es geht - so traurig es ist -um ein absolutes Zuschussprojekt, das Übersetzen von Lyrik. In diesem Fall um die von Beate Thill übersetzte Lyrik von Édouard Glissant aus Martinique und von Tchicaya U Tam'si aus dem Kongo. Aber so wenig gerade mit diesen peripheren Autoren Geld zu machen ist, so viel gewinnen die Kunst der Übersetzung und ihre Theorie: Die Frage der Übersetzbarkeit von Lyrik ist an und für sich schon schwer zu klären, da wirkt die intensive poetologische Auseinandersetzung einer Übersetzerin mit einer hybriden Kultur und Literatur besonders fruchtbar. Vor allem, weil sie von Édouard Glissant inspiriert ist, dem Philosophen, Romancier, Lyriker und großen Theoretiker der Kreolität. Mit Glissant hat Beate Thill 28 Jahre lang zusammen gearbeitet, bis zu seinem Tod im Jahr 2011 in Paris, sie hat ihn im deutschen Sprachraum eingeführt und für den Verlag "Das Wunderhorn" seine wichtigsten Romane, Gedichte und Essaybände übersetzt.

Beate Thill erwähnt, dass die junge Lyrikergeneration heute sehr an Glissant interessiert ist, für sie selbst ist Édouard Glissant eine entscheidende philosophische Klammer: "Ich würde sagen, dass es eine große Gemeinsamkeit bei der Literatur aus den frankophonen Gebieten gibt. Das ist der orale Hintergrund dieser Literaturen. Man spürt bei Glissant immer, was er als Kind bei den Märchenerzählern gehört hat, was da in Martinique in der Luft liegt an verschiedenen Traditionen, was er da hört, Voodoo und Ähnliches. Es stimmt, dass ich mir meine Methode und Technik und Motivation erst einmal aus Glissant geholt habe. Wenn man so einen großen Autor hat, der im Original eine sehr kunstvolle Sprache pflegt und sich an Genialität reichend ausdrücken kann, versucht man die eigene Sprache dahin zu entwickeln."

Programmatisches dazu ist in Glissants Essaysammlung "Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit"(Wunderhorn 2005) nachzulesen. Der Übersetzer müsse eine Ausdrucksweise zwischen den beiden Sprachen finden, so wie der Dichter eine in seiner eigenen Sprache schaffe. Die Ausdrucksweise des Übersetzers arbeite wie die Kreolisierung, nicht nur verstanden als die Neuschöpfung einer Sprache aus europäischen Dialekten und afrikanischer Syntax, sondern als eine kulturelle Praxis der Gegenwart -Kreolisierung als weltweite Form der Beziehungen in Zeiten der Globalität: "Die Übersetzung ist folglich eine der wichtigsten Spielarten des neuen archipelischen Denkens. Die Kunst des Springens von einer Sprache zur anderen, wobei die erste nicht erlischt und die zweite nicht auf ihr Erscheinen verzichtet. Eine Kunst des Springens auch deshalb, weil heute jede Übersetzung das Geflecht aller möglichen Übersetzungen jeder Sprache in jede andere begleitet."

Die Chaos-Welt bildet Brücken

Glissants Gedanken zum Übersetzen entsprechen seiner Philosophie des archipelischen Denkens. Sie geht von offenen, kontaktfreudigen Lebens-und Denkweisen aus, die nicht auf dem Festland mit dem ihm zugehörenden Systemdenken wurzeln, physisch etwa von Archipelen wie Indonesien oder Mikronesien mit ihrer Vielheit von Sprachen und Kulturen. Beate Thill findet Glissants Ausgangspunkt auf Martinique in der Karibik, wo sich Sklavengeschichte und Kolonialkulturen mischen, die Sprachen Afrikas mit denen der Europäer und der später angesiedelten asiatischen Arbeitskräfte. Hier ist Glissant geboren, hier entsteht die Welt im Chaos. Aber die "Chaos-Welt", einer seiner zentralen Begriffe, bildet Brücken von aphoristischer Eleganz, wie dieser Gedanke zum Übersetzen zeigt: "Die Übersetzung ist ein Springen, das heißt ein schöner Verzicht", und auch seine Poetik formuliert Glissant in "Schwarzes Salz"(Wunderhorn 2002) poetisch: "Poetik. Verstehen Zeit Wärme /Felsen /Wärme /gebundener Schmerz / Schrei der sein Wort ausdünstet /Vokal für Vokal /Verfestigt."

Im Original heißt es: "Compendre temps chaleur /Roche chaleur /douleur mariée / cri vaporant son mot /voyelle à voyelle / concrétées." Der Leser möge sich hiermit - annäherungsweise -ein eigenes Urteil bilden zu der Frage, ob Lyrik übersetzbar ist. "Es gibt für die Übersetzung eines Gedichtes immer eine überzeugende Lösung", meint Beate Thill. "Das ist auch die Herausforderung für das Lektorat, dass der Lektor sieht, ich würde das vielleicht nicht so übersetzen, aber die Lösung, die der Übersetzer vorschlägt, die ist überzeugend und deshalb akzeptiere ich die. Darin zeigt sich ein professioneller Lektor." Ein Statement aus eigenem Leid geboren, denn Beate Thill hat erfahren, wie hart der Kampf um Worte werden kann, bis -um Glissant zu zitieren - "Vokal für Vokal // Verfestigt" ist. 1980 hatte sie beim Schwerpunkt Schwarzafrika (sic!) auf der Frankfurter Buchmesse den Lyriker Tchicaya U Tam'si gehört - und wurde selbst erhört, als sie gemeinsam mit

Heribert Becker das gesamte Werk des kongolesischen Dichters übersetzen sollte. Doch als schon ein erheblicher Teil vorlag, musste der Verlag durch das Gutachten eines Experten erst davon überzeugt werden, dass Beate Thills Übersetzung eine "überzeugende Lösung" darstellt. So viel zu den Lehrjahren eines freien Neigungsberufes und zur Frühphase einer sehr randständigen Übersetzertradition. Afrikanische Lyrik ist noch immer ein fremder Kontinent, der erst langsam entdeckt wird, ebenso wie die besonderen poetologischen Bedingungen des Übersetzens aus nichteuropäischen Sprachen.

Das Französische kolonisieren

Beate Thill berichtet, dass dem Rimbaud Verlag bei Tchicaya U Tam'si damals eine Art romantisierende Lyrik vorschwebte, in einer Zeit, in der es auch die westliche Modernität der Dichtung noch schwer hatte. Während sie selbst vor der radikalen Herausforderung eines "Piraten-Französisch" stand, eines "gekaperten, widersetzlichen Französisch", wie es der frankophone Dichter Daniel Maximin aus Guadeloupe/Antillen bezeichnet. Tchicaya U Tam'si sagt selbst: "Das Französische hat mich kolonisiert, jetzt kolonisiere ich das Französische." Aber wie das Gedicht "Buschfeuer" im gleichnamigen Gedichtband zeigt, kann man das gekaperte Französisch durchaus lyrisch übersetzen: "Das Feuer der Fluß bedeuten /ein Meer austrinken folgend dem Sand /mit Füßen Händen /im Herzinnern um zu lieben /diesen Fluß der mich bewohnt wieder bevölkert / um das Feuer sagte ich euch nur / meine Rasse /ein Fluß fließt hier und dort / die Flammen sind der Blick // derer die ihn hegen /meine Rasse sagte ich euch / sie erinnert sich / an den Gehalt heiß getrunkener Bronze."

Die drei Bände der Gedichte von Tchicaya U Tam'si, herausgegeben von Hans-Jürgen Heinrichs, sind beim Rimbaud Verlag zu haben. Sie bieten einen sehr seltenen Zugang zur frankophonen Lyrik des Kongo - um nicht zu sagen zur Lyrik Schwarzafrikas. Vielleicht eine Motivation für unsere Verlage, die doch sehr zur Prosa neigen, sehr zur Übersetzung aus dem Englischen und sehr zur Pflege eines konventionellen Geschmacks, dem die große Welt oft entgeht.

Buschfeuer Gedichte von Tchicaya U Tam'si Rimbaud 1997 192 S., geb., € 20,60

Die Spur des Anderen Roman nach Robinson Crusoe Von Patrick Chamoiseau Wunderhorn 2014 272 S., geb., € 25,50

Kultur und Identität Ansätze zu einer Poetik der Vielheit. Von Édouard Glissant. Wunderhorn 2005.86 S., kart., € 16,30

Schwarzes Salz Gedichte von Édouard Glissant Wunderhorn 2002 136 S., kart., € 20,05

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