Verkennung von jüdischer Kunst

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Zeitgespräch

Ist ein Landschaftsgemälde von Max Liebermann jüdische Kunst? Das fragte sich schon die Grande Dame jüdischer Kunstgeschichte, Hannelore Künzl. Die Nazis gaben die Antwort, als sie den führenden deutschen Maler seiner Zeit und langjährigen Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste nach 1933 totschwiegen. Sie machten Liebermann zum jüdischen Künstler und seine Kunst zu jüdischer Kunst.

Aber schon Ende 1878 deckte der Skandal um Liebermanns Bild "Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ die Grenzen auf, die einem Künstler mit jüdischer Herkunft gesteckt waren. Im Kaiserreich brach ein Sturm der Entrüstung los über den, der sich erdreistet hatte, Jesus als "den hässlichsten, naseweisesten Judenjungen, den man sich denken kann“ darzustellen. Die allseitige Kritik zwang Liebermann dazu, das Bild zu übermalen. Aus dem barfüßigen Bar-Mitzwa-Jungen mit Schläfenlocken wurde eine aufrechte blonde Gestalt im Nazarenertypus.

So ist Liebermann ein gutes Beispiel für die Wahrnehmung, wer ein jüdischer Künstler sei und was jüdische Kunst. Max Liebermann hat wohl öfter jüdische Sujets aufgegriffen, z. B. seine Zeichnungen im Gedenken an die jüdischen Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges. Und doch war es viel mehr seine Umwelt als er selbst, die ihn als jüdischen Künstler begreifen wollte - und es war nicht als Kompliment gedacht.

Nicht alle Arbeiten eines jüdischen Malers sind jüdische Kunst, genauso wenig stammen alle jüdisch-religiösen Sujets von Juden. Was hat die Darstellung des ‚Juden Liebermann‘ von Jesus Jüdisches an sich? Er hielt der Gesellschaft den Spiegel vor und zeigte eine unangenehme Wahrheit. Diese Courage schlägt die Brücke zum Judentum. Denn Juden sind überzeugt: Gott liebt die Wahrheit, sei sie auch anstößig.

Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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