Verzicht auf Gottes "Allmacht"

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"Wer euch antastet, tastet meinen Augapfel an." Dieses Gotteswort, das sich in der Hebräischen Bibel, dem Alten Testament der Christen, beim Propheten Sacharja findet, lässt an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. Dass es in der Christentumsgeschichte aber allzu oft vergessen und/oder missachtet wurde, gehört zu den dunkelsten Kapiteln eben jener Historie: Der christliche Antijudaismus, ohne den der rassische Antisemitismus, der in die Schoa des NS-Regimes mündete, nicht denkbar wäre, muss auch theologisch aufgezeigt und überwunden werden.

Das Volk Israel als Augapfel Gottes

Einen diesbezüglich verdienstvollen Beitrag stellt der Band "Gottes Augapfel" dar, mit dem der Wiener katholische Dogmatiker Jan-Heiner Tück "Bruchstücke zu einer Theologie nach Auschwitz" vorlegt. Tücks Beiträge, die er in diesem Band neu kompiliert hat, sind zumeist schon anderswo erschienen, was zum einen eine gewisse Heterogenität des Buches zur Folge hat. Aber wichtiger ist, dass Tück die Breite des Themas und der Zugänge aufweist -von literarisch-theologischen Näherungen in seiner Auslegung von Gedichten Paul Celans, Hilde Domins oder Rose Ausländers bis zur Einordnung von päpstlichen Positionierungen -namentlich von Benedikt XVI. und Franziskus in der Tradition der bahnbrechenden Konzilserklärung Nostra Aetate.

Zentral bei Tück ist die vom Philosophen Hans Jonas übernommene These, angesichts der Monstrosität von Auschwitz könne man von Gott nurmehr unter Verzicht aufs Prädikat seiner Allmacht sprechen. Angesichts der Diskussionen um die Pius-Brüder und deren antijüdische Grundierung oder der wieder aufpoppenden Debatte um die Stellung des Alten Testaments in der christlichen Bibel erweist sich das Zeugnis von Tück als äußerst wichtig. Denn wie auch der Leiter des Berliner Abraham-Geiger-Kollegs, Rabbiner Walter Homolka, im Vorwort anmerkt, ist das derart engagierte Eintreten fürs Judentum und eine christliche Theologie, die Auschwitz wesentlich im Blick hat, immer noch nicht bzw. schlimmer: schon wieder nicht mehr selbstverständlich.

In der Bedenkwoche Mechaye Hametim" (s. u.) referiert Jan-Heiner Tück die Thesen seines Buchs bei einem Vortrag im Wiener Otto-Mauer-Zentrum (8. November, 19 Uhr, 1090 Wien, Währinger Str. 2-4, www.kav-wien.at)

Gottes Augapfel Bruchstücke einer Theologie nach Auschwitz Von Jan-Heiner Tück. Herder 2016.396 Seiten, geb., € 30,80

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