Vom Elend der Weltverbesserer

Werbung
Werbung
Werbung

Plakativ modernisiert und globalisiert: Gerhart Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" am Burgtheater.

Betritt man den Zuschauerraum, sind bei offener Bühne auf den Zwischenvorhang projizierte Firmenlogos zu sehen: Bezahlte Werbung? Teil der Inszenierung? Oder beides, da sich einige der Unternehmen auch im Programmheft finden? So plakativ wie der Beginn ist die gesamte Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Frühwerk "Vor Sonnenaufgang" im Wiener Burgtheater.

Wohlstand in Gefahr

Regisseur Nicolas Stemann führt in einem zu allem oder nichts passenden Bühnenbild von Katrin Nottrodt vor, was an Hauptmanns 1889 mit einem Theaterskandal uraufgeführten Stück über reiche Bauern und arme Bergleute in Schlesien aktuell sein könnte. "Wohlstand in Gefahr 1" steht über der Produktion, die eine Burgtheatertrilogie zu dieser Thematik (als zweiter Teil ist Elfriede Jelineks "Babel" über den Irakkrieg geplant) einleitet. Und was bedroht den Wohlstand? Einerseits ein Aufstand der Ausgebeuteten und anderseits die Hemmungslosigkeit der Reichen, die sich buchstäblich zu Tode amüsieren. Die reiche Gutsbesitzerfamilie Krause ist dem Alkohol verfallen und dem Untergang geweiht. Das Stück endet mit einer Totgeburt und mit einer verzweifelten jungen Frau: der Tochter Helene. Der idealistische, das soziale Unrecht aufzeigende Alfred Loth fürchtet - bestärkt vom an die Allmacht der Gene glaubenden Arzt - den Alkoholismus in Helenes Familie so sehr, dass er die Liebesbeziehung mit ihr abbricht und sie bei fürchterlichen Verwandten zurücklässt.

Stemann trägt dick auf, lässt die Posaunen und zuletzt den Song von der "Droge Geld", die uns alle beherrscht, erklingen. Er setzt auf grelle Licht- und Akustikeffekte, sorgt für dauernde Action und Bewegung auf der Bühne. Während die Reichen tafeln, sammeln sich - nur durch ein rotweißes Absperrungsband von ihnen getrennt - die Ausgebeuteten, um im Chor "Hunger" zu schreien oder muslimische Gebete zu verrichten. Von Hauptmanns Text ist viel gestrichen, dafür werden manche Passagen doppelt serviert. Die kombinierte Darstellung von privater Tragik und globaler Problematik ist gut gemeint, wirkt aber manchmal sehr konstruiert.

Aus der Familie Krause kann nur die Charakter und Gefühl zeigende Helene (Caroline Peters) berühren. Die Rolle des Vaters (Hermann Scheidleder) erschöpft sich im Torkeln über die Bühne, die der Tochter Martha (Johanna Eiworth) im Schwangersein und - hier aufdringlich plakativ inszeniert - im Gebären. Stiefmutter Krause (Myriam Schröder) lässt schlesische Tiraden los, die das Dienstmädchen Miele (Sachiko Hara), eine ständig in Unterwäsche herumlaufende Asiatin, übersetzen darf. Helenes ungeliebter Verlobter Wilhelm Kahl (Daniel Jesch) setzt auf Gewalt und lässt sich nichts abgehen.

Schlesische Tiraden

Gut besetzt sind die zentralen Rollen von Marthas Mann Hoffmann (Philipp Hochmair), der geduldig der Welt ihren Lauf lassen will, und Alfred Loth (Philipp Hauß), dessen Agieren Hauptmanns Skepsis verdeutlicht: Das Elend liegt nicht nur an den rücksichtslosen Genussmenschen, sondern auch an den radikalen Weltverbesserern.

Nicolas Stemann macht mit dieser Inszenierung formal für und inhaltlich gegen die Spaßgesellschaft Theater. Jeder kann sich daraus mitnehmen, was ihm behagt. Das Premierenpublikum nahm dies beifällig und ohne Anzeichen von Verstörung auf.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung