Jeder kennt die Tante Jolesch. Aber stammen die Sprüche, die die Frau getan haben soll, auch tatsächlich von ihr? Friedrich Torberg hat eine Antwort auf diese Frage gleich in der Einleitung seines berühmten Buches gegeben. Die Tante Jolesch, so heißt es dort, hat tatsächlich gelebt und die meisten ihrer Sprüche selbst getan. Allerdings, so Torberg weiter, sollte man aufpassen, denn die Tante Jolesch ist eben keine Person im konventionellen Sinn, sondern ein Typus.
Nichtsdestotrotz: Auf eine lange Recherche nach der Person der Tante Jolesch hat sich jetzt in einem eigenen Buch der österreichische Autor Robert Sedlaczek gemacht. In Form eines langen Erlebnisaufsatzes begegnet uns hier noch einmal, was wir über die Tante Jolesch seit langem wissen: Eine Familie Jolesch hat es im Umfeld von Torberg tatsächlich gegeben und zumindest ihr Neffe ist, wie viele andere Figuren des Buches, real verbürgt.
Jüdisches Vorkriegs-Wien
Viele Freunde und Bekannte haben Torberg über Jahrzehnte hinweg Geschichten aus dem jüdischen Vorkriegs-Wien zugetragen. Von ihm, einem wahren "Dr. Anekdoteles“, wurden sie gesammelt und in dem Erfolgsbuch aus dem Jahr 1975 unter dem Namen der Tante Jolesch zusammengefügt. Wenn man neudeutsch will, ist die alte Dame also vor allem eins: ein in sich selbst verwachsenes Diskurskonglomerat.
Robert Sedlaczek findet in seinem Buch keinen Ariadnefaden durch das Wollknäuel, bereichert es aber um eine weitere Geschichte, die in ihm verwoben ist. Bruno Kreisky, dessen Sekretär der Autor einmal war, soll gesagt haben, dass viele der Anekdoten eigentlich von ihm selbst stammen. Schöne Vorstellung, dass auch noch ein echter österreichischer Bundeskanzler hinter der Tante Jolesch steckt.
Die Tante Jolesch und ihre Zeit
Eine Recherche.
Von Robert Sedlaczek, in Zusammenarbeit mit Melita Sedlaczek und Wolfgang Mayr, Haymon 2013.
296 Seiten, gebunden, e 19,90
