Die Abwesenheit der Tante Jolesch

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Die Ausstellung über das Judentum in Wien von 1918 bis 1948 im Jüdischen Museum Wien: viel Information, aber eine verzerrte Perspektive.

Man kann für oder gegen Friedrich Torberg sein, man kann seine sprachliche Verve goutieren und seine politische Sturheit missbilligen, man kann sich an seinen Kultur- und Zeitkritiken delektieren und sich darob empören, dass er über Wien jahrelang eine Bert-Brecht-Quarantäne zu verhängen imstande war. Aber man kann eines nicht tun: Eine Ausstellung "Die Welt der Tante Jolesch" nennen und dann nichts, aber auch gar nichts von dem durch Torberg vor 30 Jahren via "Die Tante Jolesch" verbreiteten Flair des sterbenden altösterreichischen Judentums spürbar zu machen. Dies ist ein schwerwiegender Einwand, welcher gegen die Ausstellung "Wien, Stadt der Juden. Die Welt der Tante Jolesch" deponiert werden muss: Geschenkt, dass - entgegen dem, was Torberg den Nachgeborenen in seinem 1975 erschienen Bestseller glauben machen wollte - Kaffeehaus nicht überall war, und dass die Brille, durch die der Pamphletist und Anekdotiker da eine gute alte Zeit verklärte, ein verzerrtes Bild wiedergab. Aber auch eine Kritik solcher Verzerrung macht sich die Ausstellung nicht zu eigen. Die Tante Jolesch, jene Type eines - weiblichen - jüdischen Familienunikums, die mit Aussprüchen wie "Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist" von Friedrich Torberg zur Unsterblichkeit erschaffen wurde, spielt nur im Ausstellungstitel eine Rolle.

In der im Jüdischen Museum Wien gezeigten Ausstellung ist in 21 Stationen das politische, kulturelle, sportliche und - ein wenig - auch das religiöse Leben der Juden in Wien zwischen 1918 und 1938 in Bildern und Dokumenten dargestellt. Hält man sich vor Augen, dass es um 1860 in Wien weniger als 10.000 Juden gab, die Volkszählung von 1923 aber 201.513 Juden auswies, so zeigen allein diese Zahlen, wie "jüdisch" die Donaumetropole in wenigen Jahrzehnten wurde.

"Stadt der Juden", der Haupttitel der Ausstellung, ist die Umkehrung eines Romantitels des 1925 von einem Nationalsozialisten ermordeten Schriftstellers Hugo Bettauer. Bettauers "Stadt ohne Juden" nahm satirisch vorweg, was nach der Schoa Wirklichkeit werden sollte. Allerdings: Durch die Präsentation von Wien als "Stadt der Juden" reklamiert die Ausstellung so ziemlich das gesamte Geistes-, Kultur- und Polit-Leben als etwas Jüdisches. Diese Vereinnahmung ist als zweiter schwerwiegender Einwand aufs Tapet zu bringen. Von der Verfassung der Ersten Republik durch den Rechtsgelehrten Hans Kelsen über das legendäre "rote Wien" unter Hugo Breitner, Julius Tandler, Otto Glöckel usw. wird suggeriert, dass etwa der (kommunal) politische Aufbruch ein "jüdisches Projekt" war. Ob ein solcher Ansatz der Historie Genüge tut, darf wohl bezweifelt werden.

Nicht, dass auf den beiden Ausstellungsebenen nicht viel an Information verpackt wurde: Wer etwas über die Sozialreformen des roten Wien, über die legendäre Schule empirischer Soziologie rund um die Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal" (Paul Lazarsfeld, Marie Jahoda), über die Auseinandersetzungen rund um den "freizügigen" Publizisten Hugo Bettauer oder vieles andere mehr erfahren will, wird hier fündig. Die Ausstellung bleibt letztlich aber diesem volksbildnerischen Impetus verhaftet: Dem Interessierten wird eine Fülle an Informationen geboten. Insbesondere das von Ausstellungskurator Joachim Riedl herausgebrachte Begleitbuch mit vielen Beiträgen zu den Themen der Ausstellung kann als gut ausgestattete Informationsquelle über eine hierzulande wenig bedachte und besprochene Zeit dienen.

WIEN, STADT DER JUDEN.

Die Welt der Tante Jolesch.

Jüdisches Museum Wien, 1010 Wien, Dorotheergasse 11.

Bis 31. 10. So-Fr 10-18, Do bis 20 Uhr

www.jmw.at

WIEN, STADT DER JUDEN.

Die Welt der Tante Jolesch.

Hg. Joachim Riedl. Beiträge von Friedrich Aichleitner, Peter Huemer, Doron Rabinovici u. a.

Zsolnay Verlag, Wien 2004. 400 Seiten, mit zahlr. Abb., kart., Euro 34,90

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