Wenn die Ehre verloren geht

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Ehre ist ein vieldeutiges Wort und durch kein anderes zu ersetzen, besagt das Lessing-Zitat. In Geschichte und Gegenwart, im bürgerlichen Alltag wie in sozialen Randgruppen scheint es nicht ohne "Ehre" zu gehen. Ludgera Vogt, Pionierin der Ehre-Forschung, macht sich Gedanken 70über staatliche Auszeichnungen. Roland Girtler spricht über Mensuren und Duelle und die Ehre bei Ganoven und Prostituierten. Und Justin Stagl erklärt, warum Universität und Forschung nicht funktionieren ohne die Ehre des Wissenschaftlers. Redaktion: cornelius hell "Status" oder "Prestige" klingen besser, aber trotz allem Missbrauch der mit dem Begriff getrieben wurde: Ohne "Ehre" ist die soziale Welt des Menschen nicht zu verstehen.

Ehre war lange ein Unwort, kontaminiert nicht nur durch den SS-Spruch "Unsere Ehre ist Treue". "Ehre" hat schon vor der NS-Zeit eine blutige Spur gezogen: Nicht nur auf dem "Feld der Ehre" sind Tausende Männer gefallen, auch Duelle haben Jahrhunderte lang viele Opfer gefordert - die nichts anderes wollten als ihre Ehre verteidigen.

Männer fochten mit Säbeln und Pistolen, Frauen konnten höchstens "ihre Ehre verlieren" - auch als geschlechtsspezifische Festschreibung ist "Ehre" in Verruf gekommen. Außerdem stand dahinter ein ständisches, ein vormodernes Konzept, mit dem nur noch die politische Rechte sympathisierte.

Nicht nur Linke wollten es aus einer demokratischen Gesellschaft verbannen. Lieber sprach man von "Status" oder "Prestige". 1982 wurde ein "Nachruf auf die Ehre" veröffentlicht. Was das populärwissenschaftliche Buch ausdrückte, glaubten auch namhafte Soziologen: Mit der Ehre ist es vorbei.

Die Forschungen der deutschen Soziologin Ludgera Vogt markieren eine Trendwende: Im Sammelband "Ehre - archaische Momente in der Moderne" (1994) und in ihrer Monographie "Zur Logik der Ehre in der Gegenwartsgesellschaft" (1997, beide bei Suhrkamp erschienen) zeigte sie, dass es mit der Ehre nicht vorbei ist und man auf dieses Wort kaum verzichten kann, wenn man den Menschen und seine soziale Welt verstehen will. Ehre ist "symbolisches Kapital" - der viel zitierte Ausdruck des französischen Soziologen Pierre Bourdieux ist auch der Untertitel des 2002 bei dtv erschienenen Bandes "Ehre" von Dagmar Burkhart.

Luftblase "Ehre"

"Was ist Ehre? Ein Wort. Was steckt in dem Wort Ehre? Luft" - so lässt Shakespeare seinen Falstaff im Drama "Heinrich IV." sprechen. "Ehre" ist vieldeutig, hat unterschiedliche Facetten und Dimensionen. Jede(r) hat ein vages Gefühl, was Ehre bedeutet, aber es genau zu sagen, fällt schwer. Und ein anderes Wort dafür gibt es erst recht nicht. "Die Ehre ist eben die Ehre", heißt es in Lessings Drama "Minna von Barnhelm".

Dem Körper eingeschrieben

Mittelalterliche Kleidervorschriften entlocken uns heute vielleicht ein Lächeln. Wir können daran aber etwas daran ablesen, was in der Gegenwart genauso gilt: Ehre hat viel mit dem Körper zu tun. Immer sind es körperliche Gesten, die Verachtung oder Ehrung ausdrücken. Eine Ohrfeige oder das Umhängen eines Ordens - immer wird die Haut berührt, die sensible Grenze zwischen innen und außen. Und dass Ehre das letzte ist, was ein Mensch verteidigt, wenn er sonst nichts mehr hat, und was mit ihm geschieht, wenn man sie ihm nimmt - gerade im Strafvollzug -, das hat schon Schiller in seiner Erzählung "Der Verbrecher aus verlorener Ehre" mit viel psychologischer Einfühlung geschildert.

Ehre ist ein Konzept, das über den Tod hinaus reicht. Nichts illustriert diesen Umstand besser als die Tatsache, dass die Suizide in der Armee der Österreichisch-Ungarischen Monarchie sprunghaft zugenommen haben, als auch Selbstmörder mit militärischen Ehren begraben werden durften. "Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzuge", sagt Falstaff am Ende seiner langen Rede über die Ehre.

Ehrenamt und Berufsehre

Auch als das Wort "Ehre" als solches gemieden wurde, waren "Ehrenplatz", "Ehrenamt" oder ein "Ehrengrab" nicht verdächtig und "Ehrenvorsitzende" gibt es bis heute zuhauf. Dem sogenannten "Ehrenamt" - Tätigkeiten bei Amnesty international, dem Roten Kreuz oder in den Kirchen, deren einziger Lohn in der "Ehre" besteht - kommt in Zeiten knapperer öffentlicher Budgets und höherer Freizeit sogar eine gesteigerte Bedeutung zu. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt die Berufsehre. Anwälte oder Ärzte beispielsweise versuchen, bestimmte Probleme mit einer Standesgerichtsbarkeit zu lösen, die im Ernstfall eine Berufskarriere beenden kann.

Schande und Auszeichnung

"Ehre - ich hatte das Wort bis dahin nicht gebraucht. Es war eines jener großen, inzwischen in einen vieldeutigen Schlaf versunkenen Wörter gewesen. Wörter, die in schlimmen Diensten waren, meidet man ganz von selbst. Jetzt brauchte ich das Wort. Rehabilitierung - ja. Aber das Fremdwort tat's nicht ganz. Die Ehre sollte vorkommen in der Erklärung, die wir von ihnen forderten. Mein Anwalt und ich." Ehrenbeleidigungsprozesse haben noch immer Konjunktur, und wer einen führt, wird die Worte des Beamten Fink aus Martin Walsers Roman "Finks Krieg" nachvollziehen können. Wer hingegen über Orden und Ehrungen immer gelacht hat, reagiert spätestens dann anders, wenn er selbst ausgezeichnet wird.

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