Kapital und Kontrolle

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Über staatliche Ehrungen - und was sie im Leben der Bürgerinnen und Bürger anrichten.

Ehrungen sind eine soziale Institution zur Verteilung von Ehre. Sie bringen das meritokratische Moment der Ehre als eine Gratifikation für erwünschtes Verhalten zum Tragen. Schon Aristoteles und Thomas von Aquin sahen sie in diesem Sinn als "Lohn der Tugend". Für die Akteure kann Ehre ein "symbolisches Kapital" darstellen, das sie erwerben und mitunter sogar umwandeln können in Einfluss oder Geld. Die meisten Gesellschaften haben Mechanismen der öffentlichen Ehrung institutionalisiert, um das Steuerungspotential der Ehre systematisch zu nutzen. Die unmittelbare moralische Bindung der Ehrverteilung, wie sie den antiken und mittelalterlichen Denkern noch obligatorisch erschien, wurde im Modernisierungsprozess jedoch teilweise fallengelassen.

Politische Steuerung

Niemand hat dies so nüchtern beschrieben wie Thomas Hobbes, jener durch den englischen Bürgerkrieg zum radikalen Realisten geformte Philosoph. Es spiele für die Ehre keine Rolle, ob eine Handlung gerecht oder ungerecht sei, wenn sie nur groß und schwierig erscheine und folglich als ein Zeichen von Macht angesehen werden könne: "Denn Ehre besteht nur in der Meinung, dass Macht vorliegt." Folgerichtig hat Hobbes, der Vater der modernen Staatstheorie, erkannt, dass der Staat die gesamte Entscheidungsgewalt im Bereich der öffentlichen Ehrungen besitzen muss, wenn er seine symbolische Souveränität wahren und einen Bürgerkrieg seiner stets eitlen Einwohner verhindern will.

Fügt man dem noch die Ausführungen des großen Skeptikers Arthur Schopenhauer hinzu, der in Orden und Ehrenzeichen ein preiswertes Zahlungsmittel des Staates gegenüber seinen Untertanen erkannte, dann sind damit schon einige Grundprinzipien der Ehrungspraxis benannt. Orden stellen auch heute ein wichtiges Mittel der symbolischen Belohnung von bestimmten Handlungsweisen dar. Der Staat hat sich in der Regel - so auch in der Bundesrepublik Deutschland - das Recht auf die Ausübung oder Genehmigung aller Ehrungen durch Orden gesichert. In heutigen Demokratien hat sich die staatlich verliehene Ehre jedoch gleichsam remoralisiert, weil sie für gemeinwohlnützliches Handeln verliehen wird.

Dramaturgie einer Ehrung

Die besondere Prominenz von Ehrungen im Aufmerksamkeitsspektrum von Bürgern wie Massenmedien verdankt sich der dramaturgischen Intensität der Handlung. Hier treten konkrete Personen in einem Rahmen von Außeralltäglichkeit auf, um ein öffentliches Ritual zu zelebrieren. Es gibt Ehrende und Geehrte, Vorschlagende und Laudatoren, direktes und medial vermitteltes Publikum, festlich geschmückte Räume, und es gibt vor allem anschauliche Erzählungen, die zur Begründung herangeführt werden: Erfolgsstories, Rettungsaktionen, geniale Erfindungen oder Akte der Barmherzigkeit. In diesen Erzählungen geht es immer zugleich um Personen und um Werte: Ein Erfinder zeigt Kreativität, ein Politiker Verantwortungsbewusstsein, ein Sportler Ausdauer und Disziplin, eine Krankenschwester Opferbereitschaft.

Was wird nun eigentlich mit den Ehrungen bewirkt? Zunächst einmal kann der Staat mit Hilfe seiner Orden demonstrieren, welche Werte ihm wichtig sind, d.h. wie er die offene Kategorie des Gemeinwohls durch die Auszeichnung einzelner Bürger konkret verstanden wissen will. Durch eine gezielte Ehrungspraxis können bestimmte Werte sinnlich fassbar inszeniert und propagiert und dadurch fest im gemeinsamen Werthorizont einer Gesellschaft verankert werden. Die Ehrungen sind ein Integrationsfaktor, weil sie den sozialen Wertkonsens stärken. Dieser definiert für die meisten Bürger den anerkannten Bereich der öffentlichen Moral. In der Regel sind es Ausdauer in der politischen Arbeit, soziales Engagement, unternehmerische Produktivität oder künstlerische Kreativität, die belohnt werden.

Interessanter als die Perspektive des Staates ist jedoch die Frage, was Orden in der sozialen Welt der Ordensträger bewirken. Hierzu liegt bislang keinerlei Forschung vor. Ein kleines Forschungsprojekt hat jedoch erstmals Einsichten in den Alltag von Bundesverdienstkreuzträgern ermöglicht. An einem Fallbeispiel können einige zentrale aufgezeigt werden. Der Geehrte, wir wollen ihn hier Herrn Meier nennen und wie alle anderen Beteiligten anonymisieren, hat in unserem Fall das Bundesverdienstkreuz am Bande, also die am häufigsten verliehene Klasse des Bundesverdientskreuzes erhalten.

Was Orden bewirken

Jeder Geehrte wird durch die Verleihung eines Ordens aus der Masse der Bürger hervorgehoben, der Orden entfaltet distinktive Wirkungen. Die Geehrten bilden Gruppen, die über' den anderen Bürgern angesiedelt sind. Die Ordensträger bewegen sich unter ihresgleichen, sie haben teil an einer gemeinsamen "ständischen Ehre" (Max Weber). Diese ist mit "Distanz und Exklusivität" verknüpft, auch wenn die sozialen Grenzen dieser neuen Stände keineswegs so rigide sind wie die der alten Stände.

Das alles hat jedoch nicht nur erwünschte Folgen. Die symbolische Erhöhung grenzt auch aus. Man gehört nicht mehr einfach dazu, und die bisherige Bezugsgruppe weiß das auch. Frau Meier hat ihren Gatten mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Tragen des Ordens von anderen als zu "protzig" empfunden werden könnte. Auch die direkte Reaktion von Freunden war in dieser Hinsicht aufschlussreich.

"Ach erzähl doch nicht so einen Quatsch, du kriegst doch kein Bundesverdienstkreuz. Das kann doch nicht wahr sein, hi hi! Wenn ich das meiner Frau erzähle, die lacht sich halb tot (...)". Ein anderer Freund betonte, er würde ohnehin glatt ablehnen, wenn er für den Orden vorgeschlagen werden sollte. Spott, Neid, Abfälligkeit sind hier gleichsam die Ausdrucksformen der Anerkennung.

Im engeren Familienkreis, vor allem aber in der Stammtischrunde, in der sich schon zwei Ordensträger befinden, sei die Reaktion jedoch positiv ausgefallen. Der engere Familienkreis identifiziert sich mit dem Geehrten und hat assoziativ am symbolischen Kapital des Ordens teil. Der Stammtisch solidarisiert sich mit seinesgleichen und teilt mit dem Geehrten die gemeinsame ständische Ehre der Distinguierten. Ein Teil der Freunde verweigert jedoch die Akzeptanz und drückt das auch offen aus. Das verliehene symbolische Kapital hat den Geehrten verändert. Durch die Gabe des Ordens ist er herausgehoben worden, und die Gruppe der sozial Gleichen kann dies als Herabsetzung empfinden. Das Charisma des Ordensträgers wird hier zum Stigma, das eine Exklusion nach sich zieht.

"Zwang der Ehre"

Aber nicht nur das soziale Umfeld, auch das Verhalten des Geehrten selber hat durch die Ehrung eine Veränderung erfahren. Hier wird ein "sanfter Zwang der Ehre" greifbar: "Ich bin vorsichtiger geworden. Ich habe früher grundsätzlich mein Herz auf der Zunge getragen, auch im Freundes- und Bekanntenkreis, ich habe mir sogar bis in die Familie hinein teilweise totales Schweigen auferlegt. Es ist schade, dass ich das so sagen muss, aber es ist so."

Der Betroffene nimmt sich selbst als eine Person wahr, die in der Öffentlichkeit steht und beobachtet wird. Sein gesamtes Verhalten wird unter der Prämisse gesehen, dass er Ordensträger ist. Diese Erwartungshaltung wird vom Geehrten antizipiert, und er richtet sein Verhalten danach aus. Er kontrolliert seine Äußerungen daraufhin, ob sie mit dem durch die Ehrung konstruierten öffentlichen Bild einer staatlich ausgezeichneten Person übereinstimmen. Die Ehrung bewirkt also eine Deprivatisierung - der Blick der anderen ist stets präsent -, eine deutliche Disziplinierung - keine unbedachten Äußerungen und Handlungen mehr -, und letztlich eine Moralisierung der Person, die sich immer am Maßstab des Ordens messen lassen muss. Der Orden erfordert ein erhebliches Ausmaß an Affektkontrolle, die subjektiv als anstrengend erlebt werden kann. Die magische Wirkung des symbolischen Kapitals besteht darin, dass der Geehrte tatsächlich zu jenem Vorbild wird, das in den Reden zur Überreichung der Orden so oft beschworen wird.

Ehre als Disziplinierung

In die gleiche Richtung weist auch die Verhaltensänderung, die Herr Meier bei sich selbst diagnostiziert. Er führt aus, dass er sich intensiv in einer örtlichen Bürgerinitiative engagiert habe, weil ihm der Orden eine innere Verpflichtung auferlegt habe. Dies verdeutlicht noch einmal den Disziplinierungs- und Moralisierungseffekt der Ehrung. Die Ehrungspraxis durch staatliche Orden erscheint so, auch wenn sie ursprünglich aus traditional-monarchischen Kontexten stammt, als eine Institution der Remoralisierung und der normativen Integration von modernen Gesellschaften. Schopenhauers "Zahlungsmittel" des Staates könnte sich als durchaus effektives Steuerungsmittel erweisen. Voraussetzung ist, dass das symbolische Kapital in der Gesellschaft anerkannt und von Seiten des Staates knapp gehalten wird. An der Inflationierung und Entwertung von Auszeichnungen und Orden ließ sich schließlich der Zerfall der realsozialistischen Gesellschaften vor gut 15 Jahren ziemlich genau ablesen.

Die Autorin ist Professorin für Soziologie an der Bergischen Universität Wuppertal.

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