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Jahrmarkt der Eitelkeiten

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Fast täglich findet der Leser der „Wiener Zeitung“ im amtlichen Teil eine lange Liste von Namen jener Personen, die der Bundespräsident wegen ihrer Verdienste um die Republik mit Orden ausgeeeichnet hat.

Nur in den seltensten Fällen belehrt ein kurzer amtlicher Hinweis das Volk über die besonderen Verdienste, die eine Ehrenauszeichnung rechtfertigen; im allgemeinen bleibt es'jedoch den Lesern der „Wiener Zeitung“ überlassen, die verdienstvolle Tätigkeit ihrer Mitbürger als selbstverständliches Faktum anzusehen und sich über den konkreten Anlaß der Ordensverleihung weiter nicht den Kopf zu zerbrechen.

Diese Wortkargheit erscheint in einein Punkt jedoch aus einem naheliegenden Grund durchaus verständlich: Der schier unermeßlich reich herabströmende Ordenssegen, der sich auf Tausende von auserwählten Häuptern in den letzten JahTen ergossen hat, könnte schon aus praktischen Gründen individuell gar nicht mehr gewürdigt werden. Dem einfachen Österreicher bleibt daher eigentlich nichts anderes übrig, als mit Stolz, Neid oder auch Skepsis zur Kenntnis zu nehmen, daß sein Land zur Zeit anscheinend eine geschichtliche Epoche durchlebt, in der sich wie nie zuvor die „Verdienste um die Republik“ in nachgerade beängstigendem Ausmaß häufen.

In der Tat beängstigt die generöse Praxis der österreichischen Ordensvergebung, scheint es doch heute, daß sie bloß zu einem bürokratischen Zeitvertreib geworden ist, der im besten Fall der Eitelkeit schmeicheln kann.

Es fiele nicht schwer, diese Behauptung durch Beispiele zu erhärten.

Das österreichische Ehrenzeichengesetz des Jahres 1952 hat seinem Wortlaut nach den Zweck, „Verdienste um die Republik durch Verleihung von Ehrenzeichen“ zu würdigen. Es obliegt den Verwaltungsbehörden, jene Personen festzustellen, die nach dem Sinn dieses Gesetzes gewürdigt werden sollen, denn der Bundespräsident verleiht zwar die Orden, die BuadasKgierung erstattet -ab --die--'e*sp*eehen-den-1 Vorschläge. Wen kann es da noch wundernehmen, daß gerade die Beamtenschaft mit Orden besonders reichlich versorgt ist? Ein Blick in den Österreichischen Amtskalender genügt, um das zu beweisen.

Praktisch hat sich in den letzten Jahren ein eigenes, kompliziertes Protokoll im österreichischen Ordenswesen entwickelt, das sich nur in Grenzfällen an der Höhe der Verdienste selbst orientiert. Einige dieser Spielregeln mögen hier angeführt sein.

Jeder Chef einer ausländischen diplomatischen Vertretungsbehörde erhält nach Beendigung seiner Mission in Österreich ein vom Bundespräsidenten verliehenes Ehrenzeichen. Die Höhe dieses Ehrenzeichens richtet sich nach dem Rang des Diplomaten, so daß Botschafter, Gesandte und bloße Geschäftsträger jeweils einer eigenen Ordensstufe zuzuzählen sind. Die zugeteilten diplomatischen Beamten werden nur in Ausnahmefällen dekoriert, so z. B. bei Staatsbesuchen.

Würde zum Beispiel die englische Königin auf Staatsbesuch nach Österreich kommen, so müßte das gesamte Personal der britischen Botschaft in Wien, vom kleinsten Attache bis zum Botschafter der Rangordnung entsprechend vom Bundespräsidenten „wegen deT Verdienste um die Republik“ dekoriert werden. Freilich gilt das nur, wenn vorher auf diplomatischem Weg eine Vereinbarung über einen Ordensaustausch getroffen worden ist. Hier gilt dann der Grundsatz, daß der Gast mehr mitzubringen hat, als er selbst bekommt, wobei das Verhältnis mit 3:1 festgelegt ist. Der englischen Königin würden also noch lange vor ihrem Eintreffen die Namen all derer genannt werden, die protokollarisch einen Anspruch auf einen Orden besitzen: die Bundesminister, Staatssekretäre, die Sektionschefs, die Ministerialräte usw. und schließlich auch der Chauffeur, der ihren Wagen lenkt, und der Polizist, der vor ihrem Hotel Wache steht. Wie man sieht, haben die Ordensreferate, die in jedem Ministerium eigens eingerichtet sind, bei Staatsbesuchen eine verantwortungsvolle und heikle Aufgabe zu erfüllen, damit niemandes Rang verletzt und auch niemand — wie es in der Fachsprache heißt — „überdekoriert“ wird.

Umgekehrt muß der Bundespräsident vor Antritt einer offiziellen Reise von den Besuchsländern die Dekorierungsliste verlangen. Vermutlich arbeitete die Präsidentschaftskanzlei lange an der Zusammenstellung jener Orden, die unser Staatsoberhaupt bei seiner derzeitigen Reise nach Skandinavien austeilen wird. Sein Ordensgepäck ist diesmal besonders schwer, sollen doch nahezu 130 „Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik“ bei dieser Gelegenheit vergeben werden. Der finnische Hotelportier und die schwedische Küchenmagd, die Liftboys und Schuhputzer werden sich vielleicht wundern, wie leicht es offenbar ist, sich für die Republik Österreich verdient zu machen.

Was für den Bundespräsidenten recht ist, ist für die Mitglieder der Bundesregierung in bescheidenerem Ausmaß billig. Unser Vizekanzler verteilt zur Zeit in Südamerika mehr als fünfzig österreichische Ehrenzeichen!

Man mag einwenden, daß der Courtoisie im diplomatischen Verkehr ganz hervorragende Bedeutung zukommt und das Ordenswesen auf der diplomatischen Ebene auch nur diese Funktion haben kann und deshalb zu einem rein konventionellen Formalismus erstarrt ist. Bei uns in Österreich wird dieser Formalismus, der den Sinn des Ordens völlig verkennen läßt, jedoch in allen Bereichen geradezu zum System gemacht!

Während fast jeder Beamte des gehobenen Verwaltungsdienstes noch vor seiner Pensionierung zu dem seinem Rang entsprechenden Orden gelangt, müssen die Verwaltungsbeamten niederer Verwendungsgruppen oft bis zu diesem Zeitpunkt ohne Ordenszierde auftreten. Aus Anlaß ihrer Versetzung in den Ruhestand stellt man sie vor die Wahl, entweder einen wohlklingenden Titel, wie Regierungsrat oder gar Hofrat, anzunehmen oder aber mit einem „ihrem Dienstrang entsprechenden Orden“ gewürdigt zu werden. Die Eitelkeit der Menschen richtig einschätzend, mag sich der Staat durch diese Vorgangsweise gar manche Summe Geldes erspart haben — er verlangt ja schließlich noch eine Verleihungsgebühr für jeden Orden! — uns aber scheint, daß er es sich mit der Bewertung der Verdienste um die Republik denn doch ein wenig uMerctrr'gemacht hat.““-““^“““* * *“> *•-•-'“■

Das Gesetz bestimmt, daß die „Ehrenzeichen nach Größe und Art der Verdienste“ abgestuft werden können. Die dargelegte Praxis spricht dieser Bestimmung geradezu höhn. Die Höhe der Verdienste ist für den Grad der Auszeichnung in Wahrheit absolut irrelevant, vielmehr richtet sich letzterer ausschließlich nach dem Rang der Person.

Um dieses Prinzip lückenlos durchführen zu können, hat die Bürokratie sogar für den Fall vorgesorgt, daß ein österreichischer Staatsbürger von einem fremden Staat eine Auszeichnung erhält. Auch dann weiß sie es auf billigste Weise zu verhindern, daß der Betreffende „überdekoriert“ wird und so die Mißgunst jener erweckt, die sich ihre Orden brav ersessen haben. Ein österreichischer Hilfsarbeiter, der beispielsweise in Frankreich den Staatspräsidenten vor dem Ertrinken gerettet hätte, muß vor der Annahme eines französischen Ordens um die Bewilligung der Bundesregierung ansuchen. Falls die Franzosen unseren Hilfsarbeiter wegen seiner unleugbaren Verdienste ein Großkreuz der Ehrenlegion verleihen wollten, so würde nun in Österreich „der Apparat“ zu arbeiten beginnen und sein Veto einlegen. Auf diplomatischem Wege würde dem Quai d'Orsay der gesellschaftliche Rang des Hilfsarbeiters mitgeteilt werden, und jener Orden, der schließlich die Brust unseres Hilfsarbeiters zieren wird, würde kaum mehr von einem Legationssekretär akzeptiert werden, der die Tischordnung für ein Essen zu Ehren des Staatspräsidenten Frankreichs ausgerechnet hat.

Den Spaß, am Operniball mit farbigen Bändern und glitzernden Medaillen zu prunken, bezahlen wir nämlich im Grunde mit der Achtung vor den wirklichen Verdiensten jener Österreicher, die nach unserem Ordenssystem notwendigerweise nicht geehrt werden können und denen es ihre österreichische Bescheidenheit verbietet, sich um mehr als zweifelhafte Auszeichnungen zu strapazieren.

Die realistischeren Eidgenossen haben sich anscheinend einen tieferen und vor allem nüchterneren Blick in die menschliche Psychologie bewahrt als wir. Die Entartung des Dekorierungs-triebes wußten sie auf drastische Weise zu verhindern. Die Schweiz verleiht grundsätzlich keine Orden, und jedem Schweizer Bürger ist es untersagt, einen ausländischen anzunehmen.

Wer hat hier wohl den besseren Weg eingeschlagen, Österreich oder die Schweiz?

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