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Fast Geheimwissenschaft

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Der Leser verzeihe, daß ich ein persönliches Erlebnis dieser Rezension voranstelle: Vor ungefähr einem Jahrzehnt sah ich auf dem Opernball in Wien einen jungen Mann von ungefähr 30 Jahren, der den Kronenorden 2. Klasse um den Hals trug. Infolge seiner Jugend konnte er diesen Orden niemals verliehen bekommen haben. Auf meine erstaunte Frage, mit welcher Berechtigung er denn diesen Orden trage, sagte er nur, daß die alten kaiserlichen Orden nicht mehr geschützt seien, diese infolgedessen jeder tragen könne und er diese Auszeichnung sich einfach als Schmuck umgehängt habe. Aber in Wirklichkeit hatte der junge Mann sicherlich den geheimen Wunsch, sich durch einen besonders schönen Orden nicht nur zu schmücken, sondern dadurch auch an Bedeutung zu gewinnen. Je republikanischer Europa wird, desto größer ist die Sucht fast jedes Europäers, seine Bedeutung durch das Erwerben von Orden und Ehrenzeichen zu vergrößern. Die meisten Staaten tragen dieser Sucht Rechnung und überschütten die Menschen mit Orden und Auszeichnungen, wodurch sie die Geneigtheit vieler erringen. So verleiht nicht nur der österreichische Bundesstaat Orden, sondern fast jedes österreichische Bundesland. t

Die alte Monarchie hatte im Grunde genommen nur wenige Orden, aber dafür eine um so größere Anzahl von Ehrenzeichen, mit denen die Verdienste belohnt werden konnten und die äußerlich oft die Form von Orden hatten.

Die Orden im eigentlichen Sinn gehen auf Gemeinschaften zurück, die verschiedene Menschen bildeten, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen.

Um ihre Mitgliedschaft äußerlich sichtbar zu machen, trugen die Mitglieder eine bestimmte Ordenstracht und zumindest ein bestimmtes Abzeichen. Mitglied eines solchen Ordens zu sein, war eine große Ehre und Auszeichnung, während heute das Tragen eines Ordens die Auszeichnung darstellt. Dem Geiste des späten Mittelalters entsprechend, waren solche Gemeinschaften immer religiös abgestimmt. Bis zum Untergang der Monarchie und auch noch darüber hinaus existierten in diesem Raum drei derartige Orden, bei denen das Herrscherhaus gleichsam auch eine erbliche religiöse Rolle spielte: beim Orden vom Goldenen Vlies, dem Sternkreuz-Orden und dem Deutschen Ritterorden.

Im 18. Jahrhundert kamen die ersten modernen Orden auf, die allerdings noch immer eine Gemeinschaft bildeten. Waren in den späten mittelalterlichen Orden nur Adelige zugelassen, so wurde es jetzt umge kehrt. Wer in einem solchen Orden aufgenommen wurde, hatte das Recht, um die Nobilitierung anzusuchen. So war es Brauch bis 1918 beim Maria-Theresien-Orden und bis 1884 beim Kronen-, Leopolds- und Stephansorden. An den Orden der Habsburger-Monarchie kann man fast ihre Geschichte ablesen. Der Maria-Theresien-Orden zum Beispiel, der für besondere militärische Taten verliehen wurde, wirkt fast wie ein Mittel gegen den österreichischen Standpunkt: lieber eine sichere Niederlage als ein ungewisser Sieg. Der Kronen- und Stephans-Orden wiederum weisen auf die föderalistische Struktur der Monarchie hin. Und der Franz-Joseph-Orden zeigt das Bestreben, auch den aufkommenden Bürgerstand und die Industrie für ihre Leistungen belohnen zu können. Alle österreichischen Orden waren sowohl in der Form wie auch in den Farben ihrer Bänder von erlesenem Geschmack. Um aber auch viele Verdienste, für die ein Orden nicht ausreichte, belohnen zu können, schuf die Monarchie bis zum Ende eine ungeheure Anzahl von Ehrenzeichen. Die Geschichte der österreichischen Orden und Ehrenzeichen ist fast eine Geheimwissenschaft. Nur wenige Sammelwerke gibt es über diese Materie. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg, gleichsam als ein Bekenntnis zu ihr, erschien das Werk von Pechmann, das aber längst vergriffen ist.

Jetzt erschien im Verlag Schroll, nachdem die Monarchie bereits über ein halbes Jahrhundert verschwunden ist, ein umfassendes Werk über alle habsburgischen Orden und Ehrenzeichen. Das Buch ist fulminant ausgestattet. Durchweg auf Kunstdruckpapier gedruckt, was die Möglichkeit gibt, die Orden und die Ehrenbänder in ihren Farben zu zeigen. Der Verfasser ist ein Tscheche, der in Prag lebt, er stützt sich mit seinen Forschungen nicht nur auf die gesamte Literatur, sondern auch auf eine einmalige Sammlung, die es über die österreichischen Orden gibt. Der Besitzer dieser Sammlung ist ein Professor der Psychiatrie in Venedig. Aber auch auf die ehemaligen Schwarzenbergischen Sammlungen in Böhmen kann sich der Verfasser stützen. Er führt sämtliche Orden an, die die Monarchie je besaß, und hier findet auch der gute Kenner dieser Materie, daß er die eine oder andere Lücke in seinem Wissen besitzt. Und er führt alle Ehrenzeichen samt den immer wieder vorkommenden Änderungen an, so daß sein Werk für lange Zeit das große Nachschlagewerk über diese spezielle Sparte der Geschichtswissenschaft sein wird. Das Buch kostet zwar enorm viel (1194

Schilling), aber angesichts der hervorragenden Ausstattung ist dieser Preis durchaus angemessen und wird vom Liebhaber der Orden, die diese wie Antiquitäten sammeln, gerne bezahlt werden.

ORDEN UND EHRENZEICHEN DER ÖSTERREICHISCH-UNGARISCHEN MONARCHIE. Von Vaclav Mericka. Verlag Schroll, Wien. 304 Seiten Text mit 60 ganzseitigen Farbbildern und 255 Schwarzweiß-Abbildungen.

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