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Der vielumstrittene Orden

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Um das Urteil über vorliegendes Buch gleich vorwegzunehmen: dieses umfangreiche Werk des jetzigen Hochmeisters des Deutschen Ordens gehört zu den besten Werken über diesen Orden überhaupt. Dies will etwas bedeuten, denn die Literatur über den Deutschen Orden ist wahrlich nicht klein, wie das Literaturverzeichnis am Ende des Werkes bezeugt. Die besondere Qualität, des vorliegenden Monumentalwerkes liegt einmal in der Benützung so gut wie aller Quellen und Darstellungen. Weder fehlen die lateinischen noch die deutschen, französischen, italienischen und polnischen Quellen und Werke (besonders letztere sind enorm wichtig, und gerade sie werden nur zu gern für deutsche Werke über den Orden nicht benützt). Der zweite Vorzug liegt in der umfassenden Darstellung der Geschichte des Ordens. Wer „Deutscher Orden“ sagt, meint fast immer den sogenannten Ordenstaat Preußen. Der Verfasser zeigt aber, daß die Geschichte des Ordens weit umfassender ist: da ist einmal die hundertjährige Geschichte des Ordens im Heiligen Land von 1190 bis 1291, dann die Geschichte im übrigen Europa außerhalb Preußens wie in Griechenland, Rumänien, Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich, Niederlande, Böhmen. War der Orden im Heiligen Land hauptsächlich zum Schutz der Pilger tätig, so widmete er sich in den genannten Ländern in erster Linie der Seelsorge und dem Spitalsdienst. Der dritte große Vorzug des Werkes ist, daß er gewisse Tatsachen, die in der Geschichte des Ordensstaates immer wieder übersehen werden, besonders ans Licht rückt. Da ist vor allem die Tatsache, daß es zwei Ordensstaaten gab, nämlich Preußen und Livland, die staatlich gar nicht zusammenhingen, sondern nur durch das Ordensband vereint waren, im übrigen selbständige Politik machen konnten (was sie auch taten). Die zweite Tatsache ist, daß diese zwei Ordensstaaten in sich eigentlich wieder Staatenbünde waren. Preußen bestand zu zwei Drittel aus Ordensbesitz, zu einem Drittel aus dem Besitz der Bistümer, die sich der Orden allerdings unterordnen konnte, Livland dagegen umfaßte neben dem Ordensbesitz neun Bistümer, die eine ganz selbständige

Politik betrieben. Die dritte Tatsache ist, daß der Orden die unterworfenen Slawen nicht gewaltsam germanisierte. Er besiedelte vielmehr nur unbewohntes Land mit Deutschen. Die slawischen Bewohner ließ er nach eigenem Recht leben, ihre Germanisierung fand langsam dadurch statt, daß als „Deutsch“ ein höherer Lebensstandard, eine höhere Kultur galt, die die slawischen Menschen anzog. Separat sei noch besonders erwähnt, daß der Verfasser endlich auch mit der bisher üblichen Beurteilung des Hochmeisters Heinrich von Plauen — er wurde nach der Niederlage von Tannenberg Oberster Meister, schließlich aber auf Grund seiner Politik vom Orden abgesetzt -p bricht. Die übliche Zeichnung dieses Hochmeisters zeigte ihn als den letzten großen Helden des Ordens, der noch einmal versuchte, den Orden hochzureißen, aber an der Feigheit seiner Mitbrüder scheiterte, die ihn absetzten. Die Wirklichkeit war anders: die wirre Politik dieses Hochmeisters hätte den Orden noch viel rascher in den Abgrund geführt, als es ohnedies schon geschah, seine Absetzung und Verbannung war somit gerechtfertigt.

Aus dem Werk ist wieder die große Problematik des Ordens ersichtlich, soweit es sich um seine Geschichte im Baltikum und Preußen handelt: daß er vor allem immer wieder mit christlichen Mächten Krieg führte, also einer reinen Machtpolitik nicht immer auswich. Und daß in den Kriegen, die er führte, viel Grausamkeiten verübt wurden, auch von Ordensbrüdern. Was sicherlich nicht der Inhalt eines Ordenslebens sein kann.

Die Geschichte des Deutschen Ordens ist immer-wieder im falschen Licht, immer wieder romantisch verbrämt dargestellt worden. Das Werk von Turnier räumt mit vielen Legenden auf. Sein hoher wissenschaftlicher Wert ist dadurch gekennzeichnet, daß die Wiener Akademie der Wissenschaften dasselbe: 193 8 herausgeben wollte, was durch den Krieg verhindert wurde. Um so größer ist das Verdienst des jetzigen Verlegers anzusehen, der das Risiko der Herausgabe eines solchen umfangreichen Werkes auf sich nahm. Nach dem Verfasser gilt ihm ein besonderer Dank. DDr. Willy Lorenz

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