Wenn die Natur triumphiert

Werbung
Werbung
Werbung

Heiner Müllers "Quartett" dank der Schauspieler in Salzburg bejubelt.

Im akustisch wie räumlich schwierig bespielbaren Carabinieri-Saal der Residenz wird Heiner Müllers Bearbeitung der Aristokratie-Intrige Gefährliche Liebschaften (Choderlos de Laclos) als Eigenproduktion der Salzburger Festspiele aufgeführt. Müller, der sein Stück Quartett auf zwei Personen reduziert hat, geht es freilich nicht um den Unterhaltungswert, nicht um komische und tragische Pointen, sondern um den Geschlechterkampf einer aufgeklärten Gesellschaft, die Natur und Vernunft trennt. Sämtliche Assoziationen zu Stephen Frears Verfilmung des Briefromans, der mit Glenn Close und John Malkovich Weltruhm erlangte, helfen zwar bei der Rekonstruktion der Handlungsebenen, sind aber für Müllers Stück über Bord zu werfen. Im Krieg der Worte zielt er auf den Machtkampf zweier Menschen, die einander lieben und hassen, aber der Form der Verhältnisse ausgeliefert sind.

Intimkrieg der Worte

Regisseurin Barbara Frey hat mit Barbara Sukowa und dem holländischen Schauspieler Jeroen Willems die Intimität der Dialoge an die Oberfläche geholt. Ein ca. 30 Meter langer Leuchtkörper (Bühne: Bettina Meyer) teilt den Saal in zwei Hälften. In süffisant-erhabener Haltung schreitet Sukowa als Marquise de Merteuil über den Laufsteg der Überheblichkeit, der ihr auch Tafel und Bettstatt zugleich ist. Über die Entfernung hinweg überartikulieren Sukowa und Willems ihre Fantasien zu Macht und Begehren, aspirieren ihre spitzfindigen Argumente für und gegen die Liebe ins Mikroport und versehen jeden Seufzer mit einem Echo für die Öffentlichkeit.

Ihr Machtkampf wird über die Körper ausgetragen, Ziel ist die Verführung der 15-jährigen Nichte Cécile sowie die Eroberung der Madame de Tourvel, der Wetteinsatz ist Merteuil selbst.

Im Spiel im Spiel werden deren Parts von Merteuil und Valmont imitiert, so dass die Marquise (Sukowa in Hosen) den - die unschuldige Tourvel mimenden - Vicomte (Willems im Reifrock) erobert. Der Geschlechterkonflikt ist nicht nur ein Kampf aufs Messer, sondern bisweilen auch eine Komödie der Lächerlichkeiten - etwa wenn der nackte Willems von seinen imaginierten Brüsten flötet. Der Mann in Frauenkleidern genießt für einen Moment seine Rolle des Verführt-Werdens, mit dem Wissen, jederzeit wieder die unterlegene Position verlassen zu können: "Ich glaube, ich könnte mich daran gewöhnen, eine Frau zu sein." Sie aber, die als Frau keinen Platz in einer patriarchalen Gesellschaft hat und letztendlich an ihren Gefühlen scheitert, meint nur: "Ich wollte, ich könnte es."

Mann genießt Rollentausch

Dementsprechend findet sie im weiteren Rollentausch zur zynisch-persiflierenden Darstellung des Geschlechtsakts zwischen Valmont, der sich nun selbst imitiert, und der jungen Cécile alias Merteuil. Sukowas Cécile-Interpretation zeigt eine naive Maid, die ihre Defloration auf bayerisch bejodelt und damit über den weiblichen Körper als Bedürfnismaschine spottet.

Am Ende siegt die Rache der Gesellschaft. Die Natur triumphiert über die Strategien der Rationalität. Wenn alle außer Merteuil vernichtet sind, wird schließlich ihr Körper - wie auch der von Heiner Müller - vom Krebs gefressen.

Frey verlässt sich auf Müllers dichte Rhetorik der Spitzen, die die Macht von Werbung und Zerstörung scharfzüngig verbindet. Sie stellt den Akt des Sprechens, den scheinbaren Sieg der Vernunft vor das Spiel der beiden Schauspieler, das von Sukowas Kraft und Bandbreite dominiert wird. Willems' Zurückhaltung unterliegt Sukowas Fähigkeit, sich auf der Klaviatur der Müller'schen Sprachexzesse zu bewegen. Die Begeisterung des Publikums galt den Darstellern, denn Freys Regie hat nur einen schmalen Grat dieser dramatischen Spitzenkunst erahnen lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung