Wie viel Geist hat Ihre Bank?

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Am Wiener Schauspielhaus wurde "Die Pappenheimer oder Das O der Anna O." von Franzobel uraufgeführt. Eine Gespenstervolkssonate nennt der vielgeschätzte Autor seine schrille Theaterrevue - die indes über weite Strecken ermüdend und belanglos bleibt.

Die Redewendung "meine Pappenheimer" stammt aus Schillers "Wallenstein"-Trilogie und hat mit der Person Bertha Pappenheim, Titelfigur in Franzobels neuestem Stück, nichts zu tun. Bertha Pappenheim ging unter dem Pseudonym Anna O. als "Urpatientin" Sigmund Freuds und Josef Breuers in die Geschichte der Psychoanalyse ein. Ihr hat Franzobel ein dramatisches Denkmal in "Die Pappenheimer oder Das O der Anna O." gesetzt, das am Schauspielhaus Wien uraufgeführt wurde. Es handelt sich hier um ein Auftragsstück der Volksbank, in deren eben eröffneter Zentrale in der Liechtensteinstraße die "erste Hysterikerin Wiens" von 1878 bis 1881 lebte.

Eine Gespenstervolkssonate nennt Franzobel seine Theatergroteske, in welcher Gegenwart und Vergangenheit in einem wüsten Form- und Stilmix aufeinanderprallen. Als "übliche Verdächtige" tummeln sich auf der Pawlatschenbühne drei komische Figuren, die von einem beflissenen Kommentator (gespielt von Matthias Schweiger) sogleich als typische Vertreter des Altwiener Volkstheaters entlarvt werden: der geschwätzige Bankdirektor (Vincent Glander), seine einfältige Sekretärin und Geliebte Gretel (Veronika Glatzner) sowie der derb-komische Nachtwächter (Ingo Tomi). Alle drei führen nichts Gutes im Schilde. Der Bankdirektor möchte den Ausschussbericht klauen, Gretel denkt nur an ihren sozialen Aufstieg, und der frisch gekündigte Nachtwächter ist gerade dabei, das ganze Haus in die Luft zu jagen. Doch plötzlich stört ein Zauberwesen die nächtlichen Machenschaften. Der Geist der Anna O. (witzig und überzeugend verkörpert von Nicola Kirsch) spukt durch das Gebäude und versetzt die Bankangestellten flugs aus dem Heute ins ausgehende 19. Jahrhundert. Dort erleben die Drei - mittels Feenstaub werden sie in Berthas Eltern bzw. den Hausarzt Josef Breuer verwandelt - die Geburtsstunde von Hysterie und Psychoanalyse in Wien.

Chaotisches Durcheinander

Als Berthas Vater nach langer Krankheit stirbt, verfällt die Tochter in eine schwere psychische Krise. Sie beginnt zu halluzinieren und entwickelt zahlreiche psychosomatische Störungen, die der damaligen Auffassung entsprechend unter dem Begriff der Hysterie subsumiert werden. Zwischen Krankheit und Schauspiel pendeln die wahnhaften Anfälle, in denen die junge Frau traumatische Erlebnisse, gesellschaftliche Zwänge und die heimliche Zuneigung zu ihrem Therapeuten Josef Breuer verarbeitet.

Nach diesem Ausflug ins "Privattheater" der Anna O. wird ihr weiterer Lebensweg nur mehr kurz angerissen. Am Ende sind alle Figuren aus ihrem Zauber erlöst, die Gedenktafel enthüllt und der Spuk zu einem versöhnlichen Ende gebracht.

Franzobel montiert das historische Material zu einer schrillen Theaterrevue. Versatzstücke aus dem Altwiener Volksstück kontrastieren mit Slapstickeinlagen, Schlagerhits treffen auf alternativen Pop, und längst vergessene Redewendungen werden mit neumodischen Fachbegriffen aus der Finanzwelt kombiniert. Das klingt rasant, ist es aber nicht. Vielmehr verliert sich das Stück in ein chaotisches Durcheinander von Formen und Inhalten. Die zahlreichen dramaturgischen Einfälle können über das fehlende Gesamtkonzept nicht hinwegtäuschen. Aus dem inhaltsleeren Text blitzt viel zu selten Franzobels Sprachzauber hervor, und nur in wenigen, viel zu kurzen Szenen kann das spielfreudige Ensemble unter der Regie von Jan-Christoph Gockel sein Können unter Beweis stellen. Über weite Strecken aber ist dieser Theaterabend schlichtweg ermüdend und belanglos.

Figur der Anna O.

Auch der Frauenrechtlerin, Schriftstellerin und engagierten Sozialarbeiterin Bertha Pappenheim, die 1904 den jüdischen Frauenbund mitbegründete, wird das Stück damit nicht gerecht. Das politische, soziale und literarische Vermächtnis ist zur Fußnote marginalisiert. Dadurch bleibt ihre vielschichtige und größtenteils in Vergessenheit geratene Lebensgeschichte weiterhin auf die von ihren beiden Ärzten Breuer und Freud konstruierte Figur der Anna O. reduziert.

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