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"Viol - Schändung" von Botho Strauß zeigt die Gewalt - und macht uns zu Voyeuren.

Gewalt ist unter den Menschen und, so scheint es, über die Medien so allgegenwärtig, dass auch die Bühnen der Wiener Festwochen sich ihr nicht entziehen können. In Botho Strauß' Umdichtung von Shakespeares Rachetragödie aus dem antiken Rom "Titus Andronicus" geht es blutig zu. In "Viol - Schändung", die Luc Bondy am Pariser Odeon-Theater in einem bedrückenden Realismus inszeniert hat, wird vergewaltigt, werden Menschen die Hände abgeschlagen, zerstückelt oder ihnen wird mit dem Deckel einer Konservendose die Zunge herausgeschnitten. Grausamer Höhepunkt in diesem Reigen der Gewalt ist das Ragout aus Menschenfleisch. Es hilft wenig, dass Strauß/Bondy das blutige Geschehen durch Selbstreflexionen der Schauspieler unterbrechen lassen oder es als bloß Imaginiertes darstellen. Bondys Realismus macht uns unweigerlich zu voyeuristischen Komplizen der Gewalt.

Reigen der Gewalt ...

Worum aber geht es in dem Schlächterstück und was ist sein aktueller Kern? Titus, erfolgreicher Kriegsherr in Roms Diensten, gefühlskalter Vater gegenüber den eigenen Nachkommen, opfert den Sohn der gefangenen Goten-Königin Tamora aus Ehr-und Tugendgefühl den Göttern. Pech nur, dass der stotternde neurotische Kaiser (Marcial Di Fonzo Bo) den Reizen der schönen Tamora (Christine Boisson) erliegt, ihr den Vorzug gegenüber Titus' Tochter Lavinia gibt und sie zur First Lady im Staate macht, was diese umgehend für ihre Rache zu nutzen weiß. Die Spirale der Gewalt trifft vor allem Lavinia (großartig gespielt von Dörte Lyssewski), die erst wüst vergewaltigt und verstümmelt wird und danach noch die seelische Grausamkeit des teilnahmsfernen, kalten Vaters (Gérard Desarthe) zu erleiden hat, der den stummen, aber dennoch zu Liebe und Vergebung fähigen Torso schließlich, damit sich seine Rache an den Rächern erfüllt, auch noch ans Messer liefert.

Wie immer befragt Strauß mit dem Rückgriff auf die Literaturtradition Befindlichkeiten der Gegenwart. Er sieht Parallelen zwischen dem dekadenten Rom und unserer zunehmend um moralische Grundwerte ringenden Gesellschaft sowie der Herrschaft der exzessiven Gewalt. Spätestens seit dem denkwürdigen, so manchen Zeitgenossen beunruhigenden Essay "Anschwellender Bocksgesang" im Februar 1993 im Spiegel gilt Botho Strauß als einer der prominentesten Vertreter einer konservativen Kulturkritik, dessen Wortmeldungen von der intellektuellen Öffentlichkeit mit gesteigerter Sensibilität verfolgt werden. In dem hermetischdunklen Text übt er Kritik an der Entzauberung der Welt, am rationalistischen Programm der Aufklärung. In der Nachfolge von Novalis beklagt er, gleichsam Dichter einer sakralen Poetik, die Ortlosigkeit der Vernunft und den Umstand, dass es zwischen Himmel und Erde keine transzendentale Verbindung (mehr) gibt.

... regiert die Welt

Mit "Viol" erinnert Strauß uns, die "verwüßtet Vergesslichen", an unser geschichtliches Gewordensein. Sein Befund ist so niederschmetternd wie banal: Gewalt regiert die Welt. Die stärksten Momente hat Bondys Inszenierung - für die Lucio Fanti eine offene Bühne gebaut hat, in deren Zentrum auf zwei Schienen Kulissen laufen, die einerseits Assoziationen an ein römisches Colosseum zulassen, aber auch an Messer einer riesigen Schneidemaschine gemahnen - in den privaten Szenen zwischen Vater und Tochter. Denn im Verhältnis des fühllosen Vaters zur Tochter nistet das Fundament der Gewalt: in der Entwertung des moralischen Bewusstseins zugunsten einer abstrakten Idee, im Absterben humaner Phantasie, die im Anderen nicht mal mehr eine reale Person zu erkennen vermag.

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