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„Der Scheck ist unterschrieben …

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Roy Bradford gilt als ein gemäßigter, zu Reformen geneigter Mann innerhalb der Unionist Party, die seit fünfzig Jahren ununterbrochen in Nordirland herrscht und im Stormont, dem nordirischen Parlament, gegenwärtig mit genau dreimal so vielen Abgeordneten vertreten ist wie sämtliche oppositionelle Gruppen zusammengenommen. Roy Bradford löste im Zeichen der geplanten Reformen einen weniger liberalen Vorgänger ab und amtiert als Minister of Commerce. In einem ausführlichen Gespräch schilderte er unserem Mitarbeiter Hellmut Butterweck an seinem Amtsitz in Belfast die Lage aus seiner Sicht.

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Roy Bradford gilt als ein gemäßigter, zu Reformen geneigter Mann innerhalb der Unionist Party, die seit fünfzig Jahren ununterbrochen in Nordirland herrscht und im Stormont, dem nordirischen Parlament, gegenwärtig mit genau dreimal so vielen Abgeordneten vertreten ist wie sämtliche oppositionelle Gruppen zusammengenommen. Roy Bradford löste im Zeichen der geplanten Reformen einen weniger liberalen Vorgänger ab und amtiert als Minister of Commerce. In einem ausführlichen Gespräch schilderte er unserem Mitarbeiter Hellmut Butterweck an seinem Amtsitz in Belfast die Lage aus seiner Sicht.

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FURCHE: Herr Bradford, die Gründe der Unruhen, die gegenwärtig Nordirland erschüttern, reichen weit in die Vergangenheit zurück?

BRADFORD: Jahrhunderte. In diesem Land leben im Grunde zwei Völker. Eine protestantische Mehrheit, die seit jeher die Unionist Party unterstützt, probritisch eingestellt und auf die Krone eingeschworen ist, sie hat immer nach London geblickt. Und wir haben eine katholische Minderheit, die immer . schon antibritisch war, immer nach Dublin orientiert, die keltischer Herkunft ist und republikanisch denkt. Die Teilung reicht weit in die Geschichte zurück und bedeutet eine schwere politische Bürde.

FURCHE: Die katholische Minderheit bejaht den Staat nicht? BRADFORD: Sie macht ein Drittel der Bevölkerung aus, ein Drittel der Bevölkerung lehnt also nicht nur diese Regierung ab, sondern den Staat. Sie haben dazu immer gute eigene Gründe gehabt, und das war unser historisches Kreuz.

FURCHE: Mit dem Resultat… BRADFORD: In den letzten fünf, sechs Jahren stieg die Unzufriedenheit auf der katholischen Seite, dieses Gären überall, die Studenten auf den Universitäten, der Wechsel in den traditionellen Haltungen, die Schwächung des religiösen Empfindens, die verstärkten Kontakte untereinander, all das hat dazu geführt, daß die Katholiken bereitwilliger ihre Rolle in der Gemeinschaft spielen, aber auch fragen: Warum diese Bevorzugung der Protestanten allenthalben durch die örtlichen Behörden, bei der Vergabe von Jobs und so weiter. FURCHE: Und warum diese Diskriminierung?

BRADFORD: Die Antwort ist sehr einfach: Die protestantische Bevölkerung hat nie politisches Vertrauen zu den Katholiken gehabt, denn ein Regierungswechsel hier hätte ein Verschwinden dieses Staates und des nordirischen Parlaments bedeutet.

FURCHE: In welcher Form werden die Katholiken bei den Wahlen diskriminiert?

BRADFORD: Das Wahlrecht für die örtlichen Behörden steht nur Personen zu, die die örtlichen Steuern bezahlen, das heißt Hausbesitzern und deren Gatten. Nicht Kindern, auch wenn sie erwachsen sind, und anderen Personen, die im selben Haushalt leben. Daher haben nur etwa zwei Drittel der Bevölkerung das lokale Wahlrecht, und die Katholiken können nur dann als diskriminiert betrachtet werden, wenn man berücksichtigt, daß sie mehr Kinder haben,

FURCHE: Wurde die Reform bereits im Parlament beschlossen? BRADFORD: Nein, aber sie ist gesichert, ebenso wie eine Reihe weiterer Reformen, der Scheck ist sozusagen unterschrieben, und er wird bis Weihnachten eingelöst. Das ist bindend versprochen. FURCHE: Andernfalls wäre wohl mit unabsehbaren Folgen zu rechnen?

BRADFORD: Die Reformen werden verwirklicht, und ein Teil des

Schecks ist. bereits eingelöst. Der Ombudsmann amtiert.

FURCHE: Ein Katholik oder ein Protestant?

BRADFORD: Ein Protestant, da der englische Ombudsmann auchfür Irland zuständig ist, aber es handelt sieh um Sir Edward Compton,eine von allen Seiten akzeptierte Persönlichkeit.

FURCHE: Wäre für Nordirland nicht ein eigener, nordirischer Ombudsman zweckmäßiger?

BRADFORD: Es wird auch einen Ombudsman für die lokalen Angelegenheiten geben, die Wahl ist schon getroffen, der Name wird erst bekanntgegeben.

FURCHE: Ein Katholik oder ein Protestant?

BRADFORD: Ich weiß es nicht genau, es wird sieh wohl um einen Katholiken handeln. Den Vorsitz in der neugeschaffenen Kommission für Gemeinschaftsbeziehungen führt ein Katholik, der Minister für Gemeinschaftsbeziehungen gehört natürlich der Unionist Party an.

FURCHE: Und ist somit Protestant?

BRADFORD: Ja. Aber Dr. Simpson ist Arzt und ein sehr liberaler Protestant.

FURCHE: Was steht noch auf dem Scheck?

BRADFORD: Faire und unparteiische Vergabe der Wohnungen, unabhängige, zur Hälfte aus Protestanten und Katholiken zusammengesetzte Kommissionen, die für unparteiische Festlegung der Wahlkreisgrenzen sorgen … FURCHE: Bedeutet es nicht eine schwere Hypothek, daß diese Reformen jetzt im Schutz der Bajonette durchgeführt werden müssen?

BRADFORD: Wir brauchen vor allem Ruhe. Sämtliche anständigen Leute, das schließt auch die Katholiken ein, haben, glaube ich, dieses Reformprogramm akzeptiert

FURCHE: Welche Rolle spielt bei den Angriffen auf die katholischen Wohnviertel der irrationale Faktor, der religiöse Fanatismus? BRADFORD: Sie müssen berücksichtigen, daß ursprünglich die Bürgerrechtler die Angreifer waren, Gewalt wurde zuerst inLondonderry gebraucht und dann in Belfast, in Londonderry wurden Molotow-Cocktails und Steine geworfen. Zuerst griffen die Bürgerrechtler die Protestanten an. Als sie in Schwierigkeiten gerieten, appellierten sie offen an ihre Anhänger, Polizeireviere in Brand zu stecken, um Londonderry zu entlasten. Erst dann begannen die Gewaltakte in Belfast, der Funken sprang von Londonderry nach Belfast über, hier zündete dann die protestantische Bevölkerung katholische Häuser an. Die Civil rights-Bewegung hatte eine sehr gute Rechtfertigung, aber ihre Führer trachteten, Gewalt zu provozieren.

FURCHE: Und was soll nun geschehen?

BRADFORD: Reformen. Wir brauchen Ruhe und noch einmal Ruhe, um sie durchzuführen.

FURCHE: Aber die Tatsache, daß ein — auf Grund der Bevölkerungsstruktur einstweilen unmöglicher Sieg der Opposition das Ende eines selbständigen, eng mit Großbritannien verbundenen Nordirland bedeuten würde, bleibt bestehen?

BRADFORD: Sie bleibt bestehen. FURCHE: Wie kann man von echter Demokratie sprechen, wenn ein Machtwechsel, ein Sieg der Opposition, das Ende des Staates bedeuten würde?

BRADFORD: Vergessen Sie nicht, daß wir in der Unionist Party verschiedene Richtungen haben, einen fortschrittlichen und einen konservativen Flügel.

FURCHE: Aber noch nirgends konnten Auseinandersetzungen innerhalb einer Partei das demokratische Kräftespiel im parlamentarischen Mehrparteienstaat ersetzen.

BRADFORD: Mag sein. Die Dinge sind nicht einfach. Wir haben keine andere Möglichkeit, als auf dem nun eingeschlagenen Weg weiterzugehen, und ich glaube, daß wir auf diesem Weg Erfolg haben werden.

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