"Du, der Papa hat für die CIA gearbeitet!"

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"Seine Frau war mit dabei, wenn er zu nächtlicher Stunde Verstecke anlegte. Dann hat er gegraben und sie stand Schmiere, erzählt Schwaigers Tochter."

Über ganz Wien sind seine Werke verstreut: Einzelplastiken, Reliefs und Wanddekorationen schmücken Gemeindebauten und Parkanlagen oder finden sich im Leopold-Museum. Trotzdem ist der Bildhauer Rudolf Schwaiger heute nur wenigen ein Begriff. Schon 1979 war der Schüler von Fritz Wotruba und enge Freund von Alfred Hrdlicka 55-jährig verstorben. 25 Jahre war Schwaiger künstlerisch tätig gewesen. Soviel ist bekannt. Doch der gebürtige Ebenseer hatte ein Geheimnis bewahrt: Er war jahrelang Agent der CIA. Und zwar im Rahmen der mysteriösen NATO-Partisanentruppe "Stay-behind", geläufig unter dem italienischen Codenamen "Gladio".

Kriegsmaterial für 1000 Mann

Eine Mitwisserin und auch Mithelferin hatte Schwaiger - seine Frau Theresia, die er 1955 geheiratet hatte. Ende der 1980er sagte diese zur gemeinsamen Tochter Esther: "Du, der Papa hat für die CIA gearbeitet!" Die wollte das im ersten Moment nicht glauben. Aber je mehr die Mutter erzählte, umso mehr passte das zu Enthüllungen in Sachen Stay-behind. Anfang der 1990er-Jahre erfuhr eine erstaunte Öffentlichkeit, dass die CIA im Kalten Krieg Widerstandsnetze in ganz Westeuropa aufgestellt hatte. Es wurden Agenten rekrutiert. Man versteckte Funkgeräte, Sprengstoff und Waffen in Erddepots. Das geschah auch im neutralen Österreich. 1996 wurden 65 dieser geheimen Lager nach entsprechender Information durch die USA lokalisiert. Das darin gefundene Kriegsmaterial hätte für bis zu 1000 Mann gereicht. Wäre es tatsächlich zum Dritten Weltkrieg gekommen, hätten die Staybehind-Partisanen damit Brücken und Eisenbahnlinien gesprengt oder aus dem Hinterhalt angegriffen. Und sie hätten per Funk Kontakt mit den Alliierten aufgenommen. Genau das wäre die Aufgabe von Schwaiger gewesen.

Das Funken hatte er bei der Wehrmacht gelernt. Gleich von der Hallstätter Holzfachschule weg war Schwaiger eingezogen worden. Es folgten Einsätze in Russland, Jugoslawien und Frankreich. "Als Funker war er immer mit der ganzen Ausrüstung unterwegs, die 25 kg gewogen hat. Deswegen hat er einen Esel requiriert, der nur gegangen ist, wenn er Obstbrand zum Trinken bekommen hat. Sobald das Tier nüchtern geworden ist, hat es keinen Schritt mehr getan", erinnert sich Esther Schwaiger. Allerdings habe ihr Vater dadurch selbst zu trinken begonnen. Bei Kriegsende befand er sich zunächst in französischer Gefangenschaft. Nächste Station war das US-Camp Roeder, das 1951 in Salzburg eröffnet wurde. Dort betätigte sich Schwaiger schon als Bildhauer. US-Offiziere ließen sich von ihm porträtieren. Aber das war nicht alles. Esther Schwaiger vermutet, dass die CIA-Karriere ihres Vaters im Camp Roeder begann.

Zum Partisanen prädestinierte Schwaiger seine militärische Ausbildung und körperliche Fitness. Mit seinen roten Locken und blitzblauen Augen war er eine auffallende Erscheinung. Schwaigers ausgeprägtes Orientierungsvermögen fiel seiner Tochter später bei Wanderungen auf: "Wenn wir den Weg verloren haben, hat er Baumgruppen wiedererkannt." Was ihr Vater für Stay-behind genau tat, dazu hat Esther Schwaiger einiges von der Mutter erfahren. Denn die war mit dabei, wenn der Vater zu nächtlicher Stunde im Umkreis von Wien Verstecke anlegte. Sie habe nämlich nicht lockergelassen und Fragen gestellt: "Wo gehst du hin? Hast du eine Freundin? Sie hat nicht umsonst unter Freunden und Bekannten den Spitznamen Zangerl gehabt, weil sie sehr direkt war und oft laut wurde. Mein Vater konnte nicht anders aus, als sie mitzunehmen. Und dann hat er gegraben und sie ist Schmiere gestanden."

Mindestens alle zwei Monate seien die Verstecke kontrolliert worden: "Einmal im Jahr wurde der Inhalt wieder ausgegraben - um nachzuschauen, ob das noch funktionsfähig ist und falls nicht, etwas auszutauschen. Das Ganze ist über mindestens zehn bis 15 Jahre gelaufen." Manchmal kam es zu brenzligen Situationen: "Beim Naschschauen standen sie drei Mal plötzlich vor Baugruben oder Zäunen, weil das Gebiet in der Zwischenzeit parzelliert worden war. Einmal waren Schrebergärten angelegt worden, ein anderes Mal ein Genossenschaftsbau, dann ein Privathaus. Sie haben nichts gemacht oder nachgefragt, ob etwas gefunden worden ist -auch aus Angst, jemand könnte die Polizei rufen."

Evakuierungsroute für Spione

Kürzlich hat der Südtiroler Historiker Christoph Franceschini einige der österreichischen Stay-behind-Agenten namentlich identifiziert. Möglich wurde das, weil die CIA viele Dokumente aus dem frühen Kalten Krieg online zugänglich machte. Demnach liefen die Stay-behind-Operationen in Österreich unter der Bezeichnung GRCROOND. Schwaiger wurde als Agent "GRGIVING" geführt. Ab 1952 schulte man ihn an neuen Funkgeräten und gab ihm eine wichtige Aufgabe: Er war das letzte Glied einer Umgehungs- und Evakuierungsroute, über die im Kriegsfalle wichtige Persönlichkeiten, Spione oder abgeschossene Piloten geschleust worden wären. Der Abschnitt, den Schwaiger betreute war "Wien nach Eisenerz".

In den 1960er-Jahren war Schwaiger längst ein angesagter Künstler. Von 1946 bis 1951 hatte er an der Akademie der bildenden Künste studiert. Viele sozialdemokratische Politiker gehörten zu seinen Freunden und Sammlern. Der CIA entging das nicht. In einem Dokument von 1962 heißt es: "GR-GIVING ist nun über den Berg und kann nicht länger als hungernder Jung-Künstler angesehen werden. Er hat kürzlich von der Stadt Wien den Auftrag bekommen, eine Steinskulptur anzufertigen, [ ]. Der Erfolg steigt ihm nicht zu Kopf und er ist derselbe unbeschwerte Künstler-Typ, der er immer war. Er liebt es, zu trinken und ist ein faszinierender Gesprächspartner, vor allem, wenn es um Kunst geht. Seine Nützlichkeit als Staybehind-Funker wird von seinem beruflichen Erfolg in keiner Weise beeinträchtigt."

Das Stay-behind-Programm war auch nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags weitergelaufen. Wie lange, das konnte bislang nicht geklärt werden. Sicher ist aber, dass zunehmend die Österreicher das Sagen hatten. Vor allem der Gewerkschaftsvorsitzende Franz Olah hatte eine paramilitärische Struktur aufgebaut, die als "Österreichischer Wander-,Sport-und Geselligkeitsverein" getarnt war. Ob Schwaiger daran beteiligt war, lässt sich nicht definitiv beantworten. Laut seiner Tochter zählte Olah zu seinem Bekanntenkreis, so wie viele andere Persönlichkeiten aus dem Gewerkschaftslager. Erst nach Olahs Rücktritt als Innenminister im Jahr 1964 verlieren sich die Staybehind-Spuren. Er hatte alle Unterlagen zu seinem "Sonderprojekt" vernichten lassen.

Warum sich Schwaiger eigentlich auf das Abenteuer eingelassen hat, ist die letzte Frage an seine Tochter: "Er hatte eine Meinung, die in ihm gewachsen ist. Gegen die Bedrohung durch den totalitären Kommunismus wollte er einen Beitrag leisten. Als künstlerischer Freigeist hatte er ein sehr positives Verhältnis zur westlichen Lebensform." Wie viele andere auch war Schwaiger der Auffassung, dass sich Österreich im Falle einer neuerlichen Invasion wehren würde -anders als 1938.

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