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ERNST ULBRIGH JARGON AUS DEM STELLWERK

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Er legt Wert darauf, „roter Eisenbahner-Zar“ genannt zu werden: der 53jährige Wiener SPÖ-Nationalratsabgeordnete weiß sich als virulenter Verhandlungspartner in der Endphase der Neukonstruktion der Bundesbahnen: Ernst Vlbrich, Zentralsekretär der Gewerkschaft der Eisenbahner.

Verkehrsminister Diplomingenieur Dr. Weiß sah sich einer wesentlich härter gewordenen Gewerkschaft gegenüber, als er das ziemlich undankbare Verkehrsministerium im April 1966 übernahm. Sein sozialistischer Amts-

Vorgänger Probst hatte nie Anlässe zu besonders heitigem Krieg mit den ÖBB-Kollegen in der ÖBB-Montur gegeben, dies vor allem deshalb, weil sich seine Reformwilligkeit nicht allzuweit erstreckte.

Weiß allerdings ging mit sehr präzisen Vorstellungen der Sanierung der Bundesbahnen in das Ministerium in der Wiener Elisa- bethstraße. Denn schon im Wahlkampf war die ÖVP mit einem Konzept hervorgetreten.

Diese ersten Vorarbeiten — parallel mit Berichten eines Professorenteams, das Vorschläge erstattete — wurden von Ulbrich und seinen Gewerkschaftern mit äußerster Skepsis aufgenommen. Ulbrich sprach am 22. April 1966 im Nationalrat den Verdacht aus, daß die Sanierung der Bundesbahn durch die ÖVP nur politische Hintergründe habe: „Ich darf sagen, was der echte Hintergrund ihrer Sanierungspläne war: die Entmachtung der politischen Organisation, die Entmachtung der sozialistischen Gewerkschafter ich kann ihnen nur sagen, daß das sehr schlecht ist, was sie tun..

In der Zwischenzeit freilich verhandelten Weiß und Ulbrich fleißig miteinander — und Ulbrich hat viel Wasser in den Wein seiner Vorwürfe geschüttet.

Viel Wasser floß aber auch in das Urkonzept der ÖVP, und mancher Vorschlag der Professoren blieb auf der realpolitischen Strecke.

Immerhin: Gewerkschaft und Verkehrsminister sind sich schon in vielem nähergekommen: und die Wahrscheinlichkeit, daß ein neues ÖBB-Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird, ist relativ groß.

Wenn Ulbrich allerdings hart verhandelt, weiß er hinter sich eine geschlossene politische Formation. Im vergangenen Herbst überraschte die sozialistische Gewerkschaftsfraktion der Bundesbahnen mit einem sensationellen Ergebnis: 86 Prozent der Eisenbahner wählten rot.

Und eine Tafel mit der Aufschrift der Prozente in roten Lettern hielt Ulbrich auch im Nationalrat hoch, als er die Regierungspartei scharf anging. Denn er ist im Parlament und in der Öffentlichkeit der Posaunist eines Menschentyps, der mit dem Jargon seiner Jugend und seines Milieus nicht gebrochen hat — ja dieses Idiom pflegt und hegt. Alte Parlamentarier erinnern sich nicht daran, im Hohen Haus je Worte im Volksjargon gehört zu haben, die in nichts von einer Betriebsversammlung im hintersten Stellwerk zu unterscheiden sind.

Aber Ulbrichs Wort und Ton kommt bei seinen Leuten gut an. Und am kürzlich abgehaltenen 8. Gewerkschaftstag der Eisenbahner war Ulbrich wieder im Ton sehr rauh, in der Sache aber schon weicher.

Jede ÖBB-Sanierung müsse auf folgende Punkte Rücksicht nehmen:

• für die Gewerkschaft ist das Personalvertretungsrecht, das die Mitwirkung an der Verwaltung vorsieht, unantastbar,

• der neue Wirtschaftskörper

Bundesbahn darf keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, weil öffentliche Interessen zu wahren sind, ,

• das Defizit darf nicht Anlaß zur Rüge gegen die Bediensteten sein, weil nach wie vor „betriebsfremde Lasten" für das hohe Defizit verantwortlich seien.

Aus dem Verkehrsministerium verlautet über alle diese Fragen als Maxime: möglichst wenig darüber reden. Aber Eingeweihte wollen schon genau wissen, daß sich Ulbrich mit Weiß bereits auf einer möglichen Kompromißebene getroffen habe. Was wieder andere zu der Vermutung verleitet, daß Ulbrichs rote Zarenhärte doch den vorläufigen Zwischensieg davongetragen hätte

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