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Front gegen Unglauben

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„Toleranz“, so schrieb einmal Kaiser Josef II. an Swieten, „ist ein redender Beweis von den Fortschritten des menschlichen Geistes, der durch die Macht des Aberglaubens sich kühn einen Weg gebahnt, den Jahrhunderte früher die Zoroaster und Konfutse gewandelt, und der zum Glück für die Menschheit zur Heerstraße der Monarchie geworden ist.“ Am 13. Oktober 1781 erschien nach längeren Beratungen im Staatsrat das sogenannte „Toleranzpatent“.

„Der Kaiser“, so heißt es einleitend, „überzeugt einerseits von der Schädlichkeit alles Gewissenszwanges und anderseits von dem großen Nutzen, der für die Religion und den Staat aus einer wahren christlichen Toleranz entspringt“, habe sich bewogen gesehen, den Augsburger und Helvetischen Konfessionsverwandten sowie den nichtuniierten Griechen ein ihrer Religion gemäßes Religionsexerzitium zu gestatten. Dieses Edikt löste bei den Protestanten großen Jubel aus, obzwar es keineswegs die faktische Gleichberechtigung bedeutete. Diese vollzog erst das zwei Monate nach dem Februarpatent unter dem Ministerium Schmerling am 8. April 1861 erlassene Protestantenpatent. Im Jahre 1782 zählte man in den deutschen Erblanden rund 73.722 Protestanten und 28 Bethäuser; 1787 gab es bereits 156.865 Protestanten mit 154 Bethäusern.

Der 13. Oktober 1781 stand als Datum der Feier „175 Jahre Evangelische Kirche in Oesterreich“ Pate, zur gleichen Zeit, als die Generalsynode im Niederösterreichischen Landhause tagte. Die wichtigsten Beschlüsse galten den Paragraphen der Kirchenverfassung, die von den Werken der Kirche, von evangelisch-kirchlichen Vereinen, von der Diakonie und der Inneren Mission handelten. Mit diesen Beschlüssen wurde indes kein neuer Zustand geschaffen, sondern die Kirchenverfassung nach siebenjähriger Praxis novelliert. Bei einer Pressekonferenz im Landhaus nahm Bischof D Gerhard M a y zu den aktuellen Fragen Stellung Er betonte, daß die zu ihrer Zeit grundlegenden Gesetze der Toleranz und Parität durch die Entwicklung überholt seien. Man müsse darangehen, jene Gesetze durch ein drittes abzulösen, das der Evangelischen Kirche volle Gleichberechtigung und Freiheit sichere. Seit 26 Jahren bemühe man sich um dieses Gesetz. Man. sei auf evangelischer Seite verständlicherweise daher an einer positiven Erledigung des Konkordats interessiert, es gehe bei den beiden Kirchen weithin um die gleichen Fragen. Der Bischof wies in diesem Zusammenhang auf das gute Verhältnis zwischen katholischer und evangelischer Kirche hin und betonte, die entscheidenden Fronten der Gegenwart gehen nicht mehr zwischen den Konfessionen, sondern zwischen Christentum und Ungläubigkeit. Im Namen der Generalsynode forderte der Bischof, das aus der NS-Zeit stammende Gesetz über die Einhebung der Kirchenbeiträge zu annullieren, der Kirche ihre verbrieften Rechte wiederzugeben und die Schäden gutzumachen. Er erklärte, es widerstrebe ihm, sich auf den Artikel 26/2 des Staatsvertrages betreffend Wiedergutmachung zu berufen, da es sich schließlich um ein von auswärtigen Mächten bedungenes Vertragswerk handle; er ziehe ein Abkommen mit dem Staate vor, und die wohlwollende Haltung des Bundesministeriums für Unterricht berechtige zur Hoffnung, daß es zu einer vollen Einigung kommen werde. Im übrigen forderte Bischof D. Gerhard May, der die kürzlich eingerichtete evangelische Militärseelsorge begrüßte, deren Erweiterung, die Gleichstellung der Kirche mit Wahltätigkeitsvereinen bei Steuerbegünstigungen und die völlige Gleichberechtigung der evangelischen Staatsbürger in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Stark bewege die Not der * Ungarnflüchtlinge alle Evangelischen; ihre Heime sind voll belegt und Millionen Schilling wurden gespendet. 25 bis 30 Prozent der Flüchtlinge dürften schätzungsweise den evangelischen Bekenntnissen angehören. 410.000 Evangelische reihten sich in die Front der Hilfe für die Flüchtlinge ein. *

Bei der Festversammlung im Wiener Musikvereinssaal, an welcher der Präsident des Nationalrates Dr. H u r d e s, Unterrichtsminister Dr. Drimmel, Nationalräte und Bundesräte sowie eine große Anzahl der Chefs auswärtiger diplomatischer Vertretungen teilnahmen, hielt nach der Begrüßung durch den Präsidenten der Generalsynode, Sektionschef Dr. Fischer, Univ.-Prof. DDr. Friedrich Wilhelm Kuhnert einen weit ausgreifenden Vortrag „Vom Werden und Wirken der Evangelischen Kirche in'Oesterreich.“

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