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Kuckucksei in den Cortes

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Als das spanische Regime vor zwei Jahren mit seinen neuen Grundgesetzen die ersten direkten Wahlen von Parlamentsabgeordneten nach dem Bürgerkrieg ermöglichte, hatte es sich gewiß nicht träumen lassen, daß es damit ein Kuckucksei in die Madrider Cortes, das Parlament, gelegt hatte. Die 108 Abgeordneten — also 19 Prozent der „Cortes“ —, die von Spaniens Familienoberhäuptern gewählt wurden und dadurch den Beinamen „Familienabgeordnete“ erhielten, haben sich nicht als das entpuppt, was man von ihnen den Umständen entsprechend erwartet hatte. Denn die meisten von ihnen sind ehemalige Deputierte, Staatsangestellte und Offiziere, die selbstverständlich über eine einwandfreie regimetreue Vergangenheit verfügen.

Diese „Pamilienabgeordneten“ haben das Regimeschlagwort von der „demokratischen Evolution“ weitaus ernster aufgefaßt, als man hätte annehmen können, und tun nun das ihre dazu, es in die Praxis umzusetzen. Nicht nur haben sie die Cortes aus einem Akklamationsverein in eine Diskussionstribüne verwandelt, sondern sie haben die mittelalterliche demokratische Tradition der Cortes wiederaufgenommen. Damals versammelten sich die Cortes im jeweiligen Schwerpunkt des politischen Lebens des Landes, also in Toledo, Granada, Valladolid usw. Erst im 16. Jahrhundert wurde durch den zentralistischan Einfluß dar Habsburger unter Carlos V. dieser Brauch beendet und die Cortes in Madrid seßhaft gemacht. Dieses Nomadendasein der Legislative führen die „Familienabgeordneten“ jetzt immer dann, wenn sie vorherige Besprechungen wichtiger Gesetzesvorlagen für notwendig erachten. Daß diese Meinung von den Bannerträgern des Regimes und selbstverständlich von Parlamentspräsident Antonio Iturmendi nicht ganz geteilt wird, hat sich in den letzten Wochen bewiesen.

Ein Treffen von 48 „Familienabgeordneten“ in Ceuta, der spanischen Enklave auf marokkanischem Gebiet, wurde kurzerhand und ohne Begründungen von Madrid aus telegraphisch verboten. Dieses Verbot führte zu Interpellationen und Wortgefechten, die von der spanischen Presse mit sichtlichem Vergnügen ausgeschlachtet wurden, nicht aber zu einer plausiblen Klärung des Warum. Einer der tieferen Gründe scheint jedoch in einem marokkanischen Protest gegen die beabsichtigte Parlamentarierversammlung zu liegen, den die spanische Regierung,eingedenk ihres Bestrebens, den Status quo Ceutas und Melillas bis zur Heimführung Gibraltars beizubehalten, beachtete.

Wie weiland der Habsburgerherrscher, will Parlamentspräsident Iturmendi seine nomadisierenden Abgeordneten festsetzen. Er untersagte ihre Versammlungen außerhalb des Parlaments und erreichte damit, was er zu vermeiden suchte: sie haben ihm offen den Fehdehandschuh hingeworfen. In Valladolid traf sich ein Dutzend „Nomaden“ und gelobte, die außerparlamentarischen Extratouren trotz Verbot — aber innerhalb der Legalität — weiter zu pflegen. Don Auxilio Goui, carlistischer Familienabgeordneter aus Navarra, erklärte der Lokalpresse, daß „wir selbstverständlich in verschiedene Provinzen gehen werden“ und fügte hinzu; „Die Versammlungen werden die gesetzlichen Erfordernisse erfüllen, das heißt, sie werden aus nicht mehr als zwanzig Personen bestehen“. Dem Cortes-Prästdenten bleibt es nun überlassen, den Fehdehandschuh aufzuheben und damit die langsam entstehende Auffassung zu bekräftigen, daß das Regime sich ungewollt eine Opposition innerhalb der eigenen Reihen großzieht.

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