6774168-1969_15_05.jpg
Digital In Arbeit

Nicht lebendes Inventar..

Werbung
Werbung
Werbung

Ich bin über den Artikel von Doktor Franz Ritsehl („Furche“, Nummer 13 — „Gegen Zopf und Phili-sterei...“) in gewisser Beziehung ehrlich erfreut, scheinen sich doch Vorstandsmitglieder des Vereines „Akademikerhüfe“ erstmals mit studentischen Problemen des Heimlebens zu beschäftigen. Bis zu unserer Aktion „Mädchen stürmen das Pfeilheim“ war dies nämlich nicht der Fall. Die Heimbewohner der Heime der „Akademikerhilfe“ wurden vom Obmann des Vereines als lebendes Inventar bezeichnet, und es wurde über sie auch dementsprechend verfügt.

Die Studenten der Heime versuchen seit etwa drei Jahren eine Demokratisierung des Heimlebens zu erreichen, allerdings ohne Erfolg, so daß wir uns ab Oktober 1968 zur „Generaloffensive“ entschlossen. Nach mühsamen Fühlungsnahmen mit zahlreichen Rückschlägen bahnten sich Verhandlungen zwischen Vorstandsmitgliedern und Studenten an, sie wurden aber durch Verzögerungstaktik (die Studenten wurden immer wieder auf spätere Termine vertröstet) und durch Erklärungen des Vorstandsmitgliedes Dr. Macha-tschek, wie: „Der Vorstand ist nicht bereit, von seinem Standpunkt auch nur irgendwie abzugehen“, „Ich lege meinen Standpunkt vor Studenten nicht dar“, und „V/er kritisiert, muJ3 mit dem Verlust des Heimplatzes rechnen“, unmöglich gemacht. Wir Studentenvertreter bemühten uns immer wieder nach radikalen Schritten rufende Heimbewohner zu bremsen, was uns bis jetzt auch gelang. Sollten aber einzelne Vorstandsmitglieder weiterhin zu sachlichen und zielführenden Verhand-i lungen nicht zu bewegen sein, sehen Wir uns außerstande, die Empörung der Bewohner noch unter Kontrolle zu halten.

Die Öffentlichkeit hat sich, wir konnten das mit Freude feststellen, zum großen Teil sehr eingehend mit unseren Problemen beschäftigt, und ich glaube, daß daher das bei Studentenaktionen ungewöhnlich positive Echo herrührt. Denn folgende, beispielsweise aufgezählte Fakten sprechen für sich:

• In den Statuten des Vereines ist festgehalten, daß zwei Studentenvertreter im Vorstand Sitz und Stimme haben müssen. Seit Jahren wurden jedoch keine Studentenvertreter in den Vorstand vorgelassen. Dadurch ist uns die Möglichkeit genommen, zu Problemen, die das Heimleben betreffen, unseren Standpunkt darzulegen und zu vertreten.

• Damenbesuche sind in den Gemeinschaftsräumen der Stockwerke und auf den Zimmern strengstens untersagt. Wir wollen auch in diesem Punkt als eigenverantwortliche Staatsbürger mit intaktem Gewissen verstanden sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang Dielleicht, daß die Hausgeistlichen unsere Forderung unterstützen. Sind einzelne Vorstandsmitglieder da nicht päpstlicher als der Papst?

• Veranstaltungen im Heim unterliegen der autoritären Kontrolle des Vorstandes, Vorträge weltanschaulich anders Orientierter werden untersagt. Dr. Ritsehl hat also unrecht, wenn er behauptet, es gehe im Forderungsprogramm der Studenten „keineswegs um weltanschauliche oder charakterliche Mündigkeit“.

Wir anerkennen die Leistungen des Vereines „Akademikerhilfe“, der architektonisch-schöne, moderne Studentenheime geschaffen hat — auf die Studenten, die darin wohnen, wurde aber vergessen. Die Studenten sind nicht gewillt, doppelbödige Moralbegriffe und antiquiert-ver-staubte Tabustandpunkte widerspruchslos hinzunehmen. Ist die Forderung wirklich so ungeheuerlich, toenn Vierundzwanzigjährige verlangen, daß sie als Erwachsene und nicht als „lebendes Inventar“ behandelt werden?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung