"Ältere lernen nicht schlechter, nur anders"

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Der Wiener Sozialgerontologe Franz Kolland über Weiterbildungslust, thematische Interessen und Lernfähigkeit älterer Menschen.

DIE FURCHE: Herr Professor Kolland, wie groß ist der Bildungshunger der Älteren in Österreich?

Franz Kolland: Im internationalen Vergleich leider nicht sehr groß. In Skandinavien nutzen über 50 Prozent der Menschen zwischen 50 und 65 Jahren Bildungseinrichtungen, bei uns sind es 31,2 Prozent. Bei den Über-65-Jährigen sinkt diese Rate dann noch weiter auf zehn Prozent. 70 Prozent in dieser Altersgruppe bilden sich immerhin informell im Alltag weiter, sie schauen etwa Universum-Magazin, besuchen Ausstellungen, lesen oder engagieren sich. 20 Prozent der Pensionisten sind aber völlig bildungsresistent, die sagen nur: Lasst mich in Ruhe!

DIE FURCHE: Für welche Themen interessieren sich Ältere in Bildungseinrichtungen am meisten?

Kolland: Die größte Nachfrage herrscht beim Thema Gesundheit - inklusive Fitness, Bewegung und Ernährung. Eine österreichische Besonderheit ist hier das Gedächtnistraining, das sich ab den 1980er-Jahren stark entwickelt hat. An nächster Stelle kommen die Fremdsprachen, dann die kunsthandwerklichen Dinge.

DIE FURCHE: Und Spiritualität?

Kolland: Auch das spielt eine Rolle, aber nicht in den vorderen Rängen. Ganz unten rangieren Politik und Wirtschaft. Was hingegen auch vorkommt, sind kulturelle Themen - vor allem im Seniorenstudium. Die beliebtesten Studienrichtungen sind ja Kunstgeschichte, Zeitgeschichte, Theaterwissenschaft, Numismatik und Philosophie. In den Naturwissenschaften werden Sie hingegen kaum jemand Älteren finden.

DIE FURCHE: Inwiefern lernen ältere Menschen eigentlich anders?

Kolland: Es geht ihnen beim Lernen nicht um Langfristigkeit, sondern vor allem um Unmittelbarkeit: Sie lernen etwa Photoshop, weil sie mit den Enkeln Bilder austauschen möchten. Zweitens bauen Ältere ihre Bildung immer auf Erfahrungsschätzen auf. Wenn Sie vor einem 60-Jährigen stehen, haben Sie noch gar nicht angefangen, und er kommt schon mit einer Geschichte daher...

DIE FURCHE: Das klingt mühsam

Kolland: Ist es oft auch, ältere Studierende sind oft sehr anstrengend. Aber zugleich ist ihr Erfahrungshorizont auch für Jüngere oft nicht uninteressant. Nicht zuletzt gibt es bei Älteren auch einen höheren Beratungsbedarf in Bildungsprozessen. Aber wenn sie sich für etwas entschieden haben, steigen sie auch seltener aus.

Zu sagen, dass Ältere schlechter lernen, ist also definitiv falsch. Sie lernen nur anders.

DIE FURCHE: Was bedeutet das für die Geragogik, also die Altenpädagogik, für die es an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems einen eigenen Masterlehrgang gibt? (vgl. www. kphvie.ac.at)

Kolland: Es bedeutet, dass man sich hier um mehr Ganzheitlichkeit, Sinnlichkeit und Alltagsnähe im Lernen bemüht. Der Bedarf an Geragoginnen und Geragogen wäre jedenfalls enorm. Doch leider ist es noch schwierig für sie, eine Anstellung zu finden. Es wäre höchste Zeit, dass sich das ändert.

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