Dame im Vorstieg am Berg und für die Stadt

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Man muss nicht unbedingt Burgschauspieler sein oder dem diplomatischen Corps angehören, um als "Doyen" oder "Doyenne" bezeichnet zu werden. Auch in der akademischen Welt erhalten angesehene Wissenschafter diese honorige Bezeichnung - vor allem dann, wenn ihr Alter den Titel erlaubt und ihr Lebenswerk maßgeblich die Entwicklung des jeweiligen Fachs geprägt hat. Elisabeth Lichtenberger, die am 17. Februar ihren 90. Geburtstag gefeiert hat, ist verdientermaßen eine "Doyenne" der Geographie: In den 1950er-Jahren war es ihr gelungen, ganz Wien kartographisch zu erfassen. Ihre Methode der kulturgeographischen Kartierung sollte für den ganzen deutschen Sprachraum bahnbrechend werden. Die Raumforscherin hatte Kriterien für Bautypen erstellt und Gebäude nach Fassaden und Funktionen definiert. Mit Hilfe ihrer Studierenden, die mit Farbstiften zur "Feldarbeit" ausgerückt waren, konnten die Wiener Bezirke im Zuge dreijähriger Tätigkeit systematisch erfasst werden. Damit hat die Vollblutforscherin das Fundament der "Wiener Schule der geographischen Stadtforschung" gelegt. Zugleich diente ihre Parzellenscharfen Kartierung als Grundlage für den ersten Wien-Atlas, der 1966 erschien und zur Grundlage des Wiener Flächenwidmungsplanes wurde. In Lichtenbergers Laufbahn spiegeln sich stets vielseitige Interessen, in ihrer multiplen Studienwahl ebenso wie in ihren akademischen Schwerpunkten - von der Hochgebirgsforschung über die amerikanische Obdachlosenproblematik bis zur Verkehrs-und Stadtentwicklung. "Ich bin halt eine Rösselspringerin", hat die wissensdurstige alte Dame im FURCHE-Porträt vor zehn Jahren bekannt (Nr. 20/2005). Lichtenberger war aber nicht nur Trendsetterin ihres Fachgebiets, sondern leistete auch als Frau im männlich dominierten Wissenschaftsbetrieb Pionierarbeit: 1949 legte sie die erste morphologische Doktorarbeit einer Frau in Österreich vor, nachdem sie mit dem Hammer in der Hand die Gailtaler Alpen forschend erwandert hatte. Und 1972 kehrte sie nach Gastprofessuren in den USA, Kanada und Deutschland an die Uni Wien zurück, wo sie als erste ordentliche Professorin für Geographie berufen wurde und den Studienzweig Raumforschung und Raumordnung begründete. Auch das Institut für Stadt-und Regionalforschung an der Akademie der Wissenschaften geht auf sie zurück. 1999 schließlich wurde ihr als erster Frau das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst verliehen.

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