"Oft muss man machtlos zuschau'n"

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Eine Winterreise nach Rumänien. Oder: Warum helfen so schwierig ist.

Die Fahrt im Namen der Menschlichkeit beginnt mit einer Panne. Einer der vier Kleinbusse wurde vom klirrenden Morgenfrost lahmgelegt. Unter den rund 20 Wartenden, die sich am Parkplatz der Firma "Dieselfink" im Schneegestöber eingefunden haben, bricht dennoch keine Hektik aus. Schließlich ist der Experte mit an Bord. "Er läuft schon wieder", ruft Friedrich Fink, ehemaliger Besitzer der kfz-Werkstätte und nunmehr Pensionist, nach seinem geglückten Einsatz mit dem Starterkabel. Und so beginnt die Karawane pünktlich um sechs Uhr früh ihre Reise - vom oststeirischen Hartberg nach Bocsa im Banat.

"Wir wollen den Menschen ein wenig Freude bringen", erklärt Wilma Fink im Fond des ersten Busses den Sinn der Weihnachtsaktion, an der auch sechs Schülerinnen der Hartberger Bundesbildungsanstalt für Kindergartenpädagogik beteiligt sind. Für Freude sorgen sollen vor allem jene 400 Lebensmittelpakete, die schon in Bocsa auf die Reisenden warten - gefüllt mit (rumänischem) Mehl, Öl, Milchpulver, Konserven, Zündhölzern und Schokolade.

Brandschatzer und Behörden

Die Hartberger Hilfsaktion hat Tradition: Schon bald nach der Revolution im Dezember 1989 war eine Gruppe engagierter Hartberger um den damaligen Stadtpfarrer August Janisch nach Rumänien gereist, um die Bevölkerung vor Ort zu unterstützen. Durch Vermittlung der Diözese Temesvár landete man in der 19.000-Einwohner-Gemeinde Bocsa. Ein Partnerschaftskreis wurde gegründet. "Und schon im Mai 1990 sind die ersten rumänischen Gäste in Hartberg eingetroffen", erzählt Wilma Fink.

80 Mal ist sie seither mit ihrem Mann und einer Schar Hilfsbereiter nach Bocsa aufgebrochen - und hat dabei so manche Hürde überwunden. Um die steigenden administrativen Schwierigkeiten zu meistern, wurde der Partnerschaftskreis bald auf Vereinsbasis gestellt. "Unterstützungsverein Humanitas Hartberg" nennt sich seither der österreichische Zweig, sein rumänischer Gegenpol "Verein Asociatia de Caritate Humanitas Bocsa". 1991 wurde schließlich das "Humanitas"-Haus errichtet - doch 1992 durch Brandlegung zerstört. Bis heute wurde der Feuerteufel nicht ausgeforscht. Dennoch baute man das Haus wieder auf, erweitert um einen karitativen Kleiderladen, eine Arztordination, einen Computerraum und einen Saal, in dem Vorträge über Hygiene oder natürliche Empfängnisregelung abgehalten werden.

Die Unterstützung der Behörden in Bocsa war freilich gering - ebenso wie jene an der rumänischen Grenze. Bald wurde die Einfuhr getragener Schuhe und gebrauchter Babykleidung verboten. Eine Reaktion auf einen Skandal, wo unter dem Deckmantel "humanitärer Hilfe" einfach Müll entsorgt werden sollte, hieß es. "Jedenfalls muss Kleidung nun desinfiziert sein, aber bei Matratzen und Decken ist das egal", wundert sich die fünffache Mutter. Doch man weiß sich zu helfen: Jene Kleidungsstücke, die in Hartberg wöchentlich für den Kleiderladen gesammelt werden, aber nicht eingeführt werden dürfen, werden einfach in Österreich am Flohmarkt verkauft. Mit dem Erlös finanziert die "Humanitas" für 15 Kinder Gratis-Mittagessen in der Armenkantine von Bocsa. "Wenn das nicht wäre", glaubt Wilma Fink, "hätte die Gemeinde die Kantine längst zugesperrt."

150 Hilfstransporte wurden bisher organisiert. Chauffiert hat die Fracht meist Jozsef - jener quirlige Mittvierziger, der auch diesmal am Steuer des ersten Busses den Schrittmacher gibt. 20 bis 30 Mal pro Jahr transportiert der ungarischstämmige Rumäne als Angestellter der Caritas Temesvár Hilfsgüter in seine Heimat.

Was es heißt, auf Hilfe angewiesen zu sein, weiß Jozsef wie kaum ein andererer: "Meine Tochter hat vor zwei Jahren bei einem Auto-Unfall eine Niere und ein Auge verloren", bricht es aus ihm heraus, als am Horizont die ersten Lichter der Großstadt Temesvár zu sehen sind. Wäre dort nicht kurz davor die "Casa Austria", Johannes Poigenfürsts modernes Unfallkrankenhaus, eröffnet worden - die 20-Jährige hätte nicht überlebt.

Retter und Diebe

Auch Mircea Grecu, der die Hartberger am späten Abend im "Humanitas"-Haus begrüßt, hat sich vor Jahren verzweifelt an österreichische Freunde gewandt. Im Auftrag der Gemeinde Bocsa sollte er nach den ersten freien Wahlen im Mai 1990 die Urne in die nahe Stadt Resi¸ta bringen. "Plötzlich ist das Auto umgekippt", erzählt Grecu. Die genauen Umstände des Unfalls sind bis heute ungeklärt. Tatsache ist, dass Grecu stundenlang mit zertrümmerter Hüfte auf Hilfe warten musste - und nach der "Rettung" alle nicht-kommunistischen Stimmzettel verschwunden waren. Vier Mal wurde der damals 29-Jährige (teilweise ohne Narkose) operiert, bevor er August Janisch in einem Brief um Hilfe bat. Der Hartberger Pfarrer sorgte dafür, dass Grecu in Leoben behandelt wurde - und machte den charismatischen Mann, der seit dem Vorjahr auch für die Demokraten im Gemeinderat von Bocsa sitzt, zum Direktor der "Humanitas".

Kein leichtes Brot, betont Grecu - geht es doch darum, die begrenzten Hilfsmittel an jene zu verteilen, die sie am notwendigsten brauchen. Um den Vorwurf der Parteilichkeit auszuräumen, pochen Grecu und die Finks deshalb auf Transparenz: Wer immer im "Humanitas"-Haus Unterstützung erfährt, wird registriert.

Auch die Verteilung der 400 Lebensmittelpakete am nächsten Tag basiert auf klaren Kriterien für Bedürftigkeit. Mit Namenslisten ausgestattet und von Sozialarbeiterinnen der Gemeinde begleitet, besuchen die Hartberger die einzelnen Familien. Auch in der Magura, dem Armenviertel von Bocsa, in dem rund 2000 Roma leben, werden Pakete verteilt. Knapp hundert Menschen haben sich bei Schneeregen im Hof der Schule versammelt, als die Busse mit den Paketen eintreffen. Einzelne werden namentlich aufgerufen - und nehmen ihr Paket glücklich in Empfang. Andere gehen leer aus - und beschweren sich. "Hier gerecht zu sein ist schwierig", klagt Mircea Grecu. Er selbst ist von Rumänen nicht selten als "Zigeuner" beschimpft worden, nachdem er bei der Renovierung von 39 Roma-Häusern und beim Wiederaufbau nach dem Hochwasser im Frühjahr 2005 mitgeholfen hat.

Tatsächlich nimmt die Kluft zwischen den Roma und der rumänischen Bevölkerung zu. Geht es nach Lucia Honiges von der rumänischen Tageszeitung România Liberiâ, dann sind die Bemühungen des Staates zur Integration der Roma bislang gescheitert: "Für die Roma sind mittlerweile schon Plätze an den Universitäten reserviert - doch diese Plätze werden einfach verkauft", erklärt die Journalistin, die in einen von der "Humanitas" unterstützten Kinderhort gekommen ist, um ein Porträt von Wilma und Friedrich Fink - inzwischen Ehrenbürger von Bocsa - zu verfassen. Ähnlich nüchtern sieht die Lage auch Manuela Staniloiu, Direktorin der Pflichtschule in der Magura, in der erst vor kurzem ein dreiwöchiger, landesweiter Lehrerstreik zu Ende gegangen ist: "Viele Roma-Kinder kommen ab der vierten Klasse einfach nicht mehr, weil sie für ihre Eltern betteln gehen müssen."

Bildung und Biodiesel

Bildung wäre freilich der Königsweg aus der Misere - nicht nur für die Roma-Kinder von Bocsa, sondern auch für die Einwohner im nahen Dorf Tirol. Josef Muhrer sorgt in der Siedlung, die ihren Namen von den hier angesiedelten Tirolern aus der Zeit Andreas Hofers trägt, zumindest für erste Impulse. Seit April dieses Jahres ist der Landwirt aus der Obersteiermark - unter anderem mit Unterstützung der Caritas Graz und der Ausseerlandpfarren - als Agrarberater tätig. "Bis zum Herbst 2006 soll eine Biodieselanlage fertig sein", erzählt er stolz.

Einstweilen hat man in Tirol freilich noch zu kämpfen: damit, dass die Preise für Erdöl und Erdgas - dank der neuen Besitzerin der Petrom, der omv - stetig steigen; damit, dass die Weinberge und Weinkeller in der Hand konkurrierender ausländischer Spekulanten sind; und damit, dass die Jungen ihre Zukunft im Ausland sehen. "Oft muss man machtlos zuschau'n", meint Muhrer. Trotzdem will er bleiben. Er muss.

Doch für die Hartberger ist es inzwischen Zeit geworden, aufzubrechen. Elf Stunden Fahrt liegen vor ihnen - heim in die winterliche Steiermark. Kurz vor Hartberg scheint die Reise im Namen der Menschlichkeit plötzlich noch mit einer Panne zu enden. Kein Motoröl mehr! Doch die Hektik bleibt aus: Schließlich ist Friedrich Fink, der Experte, mit an Bord.

Spenden für den Unterstützungsverein Humanitas Hartberg:

Sparkasse Hartberg

BLZ 20 818, Konto-Nummer 124 339

Spenden für Josef Muhrer:

Volksbank Steirisches Salzkammergut

BLZ 42740

Konto-Nummer 30002880001

Kennwort: "Dorf Tirol"

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