Reichtum und Armut aus ZUCKERROHR

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Wie ein Konzern Landstriche und Dörfer in Sierra Leone für Biosprit-Plantagen billig aufkaufte, die Bauern abhängig machte und sich nun zurückzieht. Eine Geschichte zweifelhafter Entwicklungshilfe.

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Wie ein Konzern Landstriche und Dörfer in Sierra Leone für Biosprit-Plantagen billig aufkaufte, die Bauern abhängig machte und sich nun zurückzieht. Eine Geschichte zweifelhafter Entwicklungshilfe.

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Im Gemeindezentrum des Dorfes Kolisoko haben sich Männer und Frauen versammelt. Auch Schulkinder in ihren knalligen Uniformen, die eigentlich im Unterricht sitzen sollten, drängeln herein und werden von den Erwachsenen weggescheucht. Es geht um ein Thema, das alle bewegt.

Der 78-jährige Dorfvorsteher Bafudi Kamara ergreift das Wort und zählt die Kalamitäten auf, die seine Gemeinde plagen: Es gebe kaum Trinkwasser, das Essen sei knapp und teuer. Vergangenes Jahr, wurde über das Dorf wegen der Ebola-Epidemie eine dreiwöchige Quarantäne verhängt. Die Ernte konnte nicht eingebracht werden. Jetzt fehle das Saatgut für die neue Aussaat. Man wünsche sich, so der Ortschef, dass Addax zurückkehre und wieder für Beschäftigung sorge. FIAN, die Organisation für das Recht auf Nahrung, beschäftigt sich mit dem Fall: Addax Bioengery ist ein schweizer Energiekonzern, der im Norden von Sierra Leone Zuckerrohrplantagen angelegt hat. Von 53 Dörfern im Umkreis der Provinzstadt Makeni hat Addax insgesamt 45.000 Hektar Land gepachtet. Die Bioethanolproduktion von Addax gilt als Vorzeigeprojekt. Zahlreiche europäische Entwicklungsbanken haben es mit Krediten oder Zuschüssen von etwa 200 Millionen Euro unterstützt. Auch die Österreichische Entwicklungsbank, die 2010 einen Zehn-Millionen-Euro-Kredit einzahlte, der teilweise die Anschubfinanzierung für das Addax-Projekt leistete. Und das obwohl der Konzernchef auch ohne Gelder der Entwicklungshilfe auskommen würde.

Privilegien und Investitionen

Addax Bioenergy ist eine Tocher von AOG, einer Ölfirma in Genf. Konzernchef Jean Claude Gandur ist Multimilliardär. Er kannte Sierra Leones Präsident Ernest Bai Koroma aus dem Ölgeschäft und wurde eingeladen, die günstigen Investitionsbedingungen des kleinen westafrikanischen Landes zu nützen. Als eines der am wenigsten entwickelten Länder genießt es auch Zollprivilegien für den Export in die Europäische Union, die damals eine zehnprozentige Beimischungsquote für Agrotreibstoffe angepeilt hatte. Addax habe damals mit 15 Prozent Profit gerechnet, erzählt Miges Baumann, Leiter der Abteilung Entwicklungspolitik beim schweizerischen Entwicklungsdienst "Brot für alle", der oft mit Addax-Vertretern gesprochen hat.

Addax schickte also Mitarbeiter nach Sierra Leone, die mit der Regierung und den regionalen Verwaltungsbehörden, den Bezirksräten und Chiefdoms, also den traditionellen Strukturen, in Gespräche eintraten. Das war 2009. Zuletzt wurden auch die betroffenen Gemeinden informiert. Die Botschaft lautete, so erinnert sich Ortsvorsteher Bafudi Kamara, dass der Staatspräsident wünsche, dass man das Land verpachte.

Man sei daran gewöhnt, den Wunsch übergeordneter Stellen zu befolgen, sagt Bafudi. Also habe man unterschrieben, beziehungsweise den Daumenabdruck unter ein Grundsatzübereinkommen und dann unter den Pachtvertrag gesetzt, der den Landeigentümern nicht mehr als zwei US-Dollar pro Hektar und Jahr zusagt. Ein tüchtiger Bauer kann bis zu 100 Dollar jährlich erwirtschaften. Noch bevor der Vertrag aufgesetzt war, hatte Addax die erste Plantage für Zuckerrohrsetzlinge auf dem Gebiet der Gemeinde Lungi Acre angelegt. Wäldchen wurden abgeholzt, Bäche zugeschüttet, Unebenheiten planiert, Straßen verlegt, damit die Traktoren ungehindert arbeiten und die Kreisberegnungsanlagen aufgestellt werden konnten. In den Dörfern beobachtete man die Veränderungen zunächst mit Optimismus, denn für die einfachen Arbeiten wurden tausende Männer und auch einige Frauen angestellt oder zumindest als Tagelöhner beschäftigt.

Selbst die verschlafene Bezirksstadt Makeni, die vor zehn Jahren noch nicht ans Stromnetz angeschlossen war, erlebte eine gewaltige Aufbruchsstimmung, als Addax und der Bergbaukonzern African Minerals ihre Büros eröffneten. 6000 Männer aus Europa und verschiedenen afrikanischen Ländern nahmen damals in der Stadt Quartier. Restaurants und Supermärkte schossen aus dem Boden. Das Nachtleben lockte mit Bars und Prostituierten.

Im Dorf Kolisoko habe anfänglich Optimismus geherrscht, so Suleyman Masari, ein 53-jähriger Bauer: "Addax hat uns erklärt, sie würden uns aus der Armut befreien. Sie sagten, sie brauchten unser Land, um die Armut zu beseitigen und die Kinder in die Schule zu schicken. Und alle Söhne und Töchter von Landeigentümer würden angestellt". Die Zustimmung sei groß gewesen.

Man träumte von Fortschritt, Entwicklung und der Erlösung von der mühsamen Feldarbeit, die gerade einmal das Überleben sicherte. Auf dem Land, das den Gemeinden verblieb, half Addax drei Jahre lang im Rahmen eines Bauernentwicklungsprogramms mit Saatgut und Traktoren nach. Nach Ablauf dieser Zeit wurden die Traktoren zur Miete angeboten. Denn bis dahin, so der Plan, sollten die Bauern auf weniger Land höhere Erträge erzielen und sich den Zukauf von Technologie leisten können. Noch vor drei Jahren blickte man optimistisch in die Zukunft.

Wenig später brach die Ebola-Krise aus. Die hochansteckende Krankheit war vom benachbarten Liberia eingeschleppt worden und breitete sich auch in der Umgebung von Makeni aus. 53 Tote habe man im 2000-Einwohner-Dorf Kolisoko zu beklagen gehabt. Anfangs standen die Behörden der Seuche völlig hilflos gegenüber. Das an und für sich kaputte Gesundheitswesen brach zusammen. Bei den ausländischen Mitarbeitern von Addax brach die Panik aus.

Keiner wollte sich der Gefahr einer Ansteckung aussetzen. Addax errichtete ein Ebola-Behandlungszentrum in der Nähe von Makeni und bekam dafür unter anderem auch Gelder von der Österreichischen Entwicklungsbank. Diese Klinik hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass die Epidemie im Norden eingedämmt werden konnte. Anders als andere Unternehmen stellte Addax die Operationen nicht ein, obwohl die teilweise hochbezahlten ausländischen Techniker und Manager nach Hause flogen. Manche Dörfer waren auch gar nicht betroffen. Eine mehrwöchige Quarantäne, die über ganze Dorfgemeinschaften verhängt wurde, half, die Infektionsherde zu isolieren. Das Land ist inzwischen von der Weltgesundheitsorganisation als ebolafrei zertifiziert.

Drosselung der Produktion

Gerade, als die Epidemie nach mehr als einem Jahr abzuebben begann, verkündete Addax im Juni vergangenen Jahres, dass die Produktion gedrosselt würde. Die Gelegenheitsarbeiter fanden keine Beschäftigung mehr, die Festangestellten wurden mit 45 Prozent ihrer Bezüge nach Hause geschickt.

Als Begründung gab die Firmenleitung an, die Ebola-Krise habe das Unternehmen geschwächt, der Ölpreisverfall habe auch die Rentabilität von Bioethanol beeinträchtigt, die Kosten für die ausländischen Angestellten seien zu hoch und Diebstahl habe die Zuckerrohrernte dezimiert. Den Vorwurf des Diebstahls weisen die Bauern entrüstet zurück. Man könne schwerlich sie verantwortlich machen, wenn statt 80 Tonnen Zuckerrohr pro Hektar nur 30 bis 40 Tonnen geerntet würden.

Mit der Presse spricht das Addax-Management nicht. Auf eine Interviewanfrage verweist der Generaldirektor Bheki Chatira per e-Mail auf die Homepage des Unternehmens und versichert, es sei unrichtig, dass die Gemeinden kein Land mehr hätten und ihre Lebensgrundlage verloren hätten. Vielmehr sei dank des Bauernentwicklungsprogrammes heute mehr Land bebaut als zuvor. Den Bauern hat das aber die Abhängigkeit von Technik und Kunstdünger gebracht. Statt im Rotationssystem die Erde zwei Jahre rasten zu lassen, damit sie sich auf natürliche Weise regeneriert, müssen sie kräftig düngen. Ohne die Jobs bei Addax fehlt ihnen dafür das Geld.

Unter elf besuchten Gemeinden gab es eine einzige, wo sich die Menschen zufrieden zeigten und ein gewisser Wohlstand sichtbar war: das Dorf Masethle. Dessen Bewohner hatten den Schalmeienklängen von Addax widerstanden und nur etwa ein Viertel ihres Landes verpachtet und sich anwaltlichen Beistand besorgt.

Der Anwalt Sonkita Conteh arbeitet für die gemeinnützige Kanzlei Namati, die von der George-Soros-Stiftung gesponsert wird. Sie kann ihre Dienste gratis anbieten. Die anderen Gemeinden hatten sich auf die von Addax bezahlten Anwälte verlassen. "Womit sich diese Anwälte nicht befasst haben", kritisiert Conteh, "ist, dass die Dörfer im Pachtvertrag selbst die Flächen, wo ihre Häuser stehen, und die Hinterhofgärten dem Unternehmen überschrieben haben. Das heißt, Addax hätte sogar das Recht, sie aus ihren Häusern zu vertreiben".

Entsprechend verstörend sind Gerüchte über einen Rückzug von Addax und den Verkauf des Projekts. Landwirtschaftsminister Monty Jones hat Verkaufsverhandlungen mit dem britisch-chinesischen Konzern Sunbird Bioenergy bestätigt. Der Anwalt Conteh fragt sich nun, welche Pläne dieses Unternehmen haben möge, wenn Addax wegen offensichtlicher Unwirtschaftlichkeit aussteigt: "Jeder neue Investor hätte die gleichen Rechte und Verpflichtungen". Also auch die Vertreibung der Dorfbewohner, wenn es die wirtschaftliche Logik erfordert.

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