Sie müssen nicht ins Altersheim

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Eine Initiative, die alten Menschen hilft, ihren Lebensabend in den eigenen vier Wänden zu verbringen, kann - trotz vieler, auch finanzieller Probleme - auf ein zehnjähriges Bestehen zurückblicken.

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Eine Initiative, die alten Menschen hilft, ihren Lebensabend in den eigenen vier Wänden zu verbringen, kann - trotz vieler, auch finanzieller Probleme - auf ein zehnjähriges Bestehen zurückblicken.

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Die eigene Lebensqualität wird oft massiv von der Umwelt, in der man lebt, geprägt. Dabei ist nicht nur die natürliche Umwelt von Bedeutung, sondern ganz entscheidend auch die soziale. Je stärker man zur Bewältigung des täglichen Lebens auf Unterstützung von außen und soziale Netzwerke und Institutionen angewiesen ist, desto stärker - und manchmal auch schmerzlicher - wird dies bewußt.

Diese Erfahrung machen junge Familien mit Kindern bei der Suche nach Kinderbetreuungseinrichtungen, aber auch alte Menschen, die soziale Kontakte, Hilfe im Haushalt oder Krankenpflege benötigen. Im 14. Wiener Gemeindebezirk hat man den Versuch gestartet, Menschen zusammenzubringen - "Nachbarn helfen Nachbarn" lautet ein Slogan des SMUP (Sozial-Medizinisches Nachbarschaftszentrum Unterpenzing). Mittlerweile hat sich die Initiative, die damit begann, daß zwei Ärzte in der Praxis sahen, daß vor allem alten Menschen oft mit einfachen Mitteln das Leben in den eigenen vier Wänden erleichtert werden könnte, seit gut zehn Jahren bewährt.

Die ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe ist ein voller Erfolg. "Zuerst gab es viele Skeptiker, die meinten, daß ehrenamtliche Helfer nicht verläßlich genug wären", meint der Zentrumsbetreuer Reinhard Höglinger, "aber die Erfahrung hat gezeigt, daß über die Jahre teilweise intensive Beziehungen gewachsen sind und Kontakte auch nicht abreißen, wenn die Menschen in ein Pflegeheim kamen".

Ein wichtiges Charakteristikum des SMUP ist seine Überschaubarkeit, seine Verankerung im "Grätzl" wie man auf wienerisch sagt. Das erleichtert die Identifikation der Unterpenzinger , die das SMUP durch Spenden und Mitgliedsbeiträge unterstützen - den Rest schießt die Gemeinde Wien zu - und einfach und unbürokratisch die Angebote des SMUP nützen können. Diese Angebote gehen mittlerweile über bloße Nachbarnzusammenführung hinaus. "Immer mehr Menschen haben nach regelmäßiger Unterstützung bei der Führung des Haushaltes und bei der pflegerischen Betreuung gefragt", erklärt Höglinger. Zunächst habe man - "etwas naiv" - versucht, auch diesen Bereich durch ehrenamtliche Helfer abzudecken, "aber wir sind zunehmend zur Vermittlung von bezahlten Betreuerinnen übergegangen".

In den letzten zehn Jahren wurden rund 900 Personen über das SMUP betreut und dabei etwa 175 000 Betreuungsstunden geleistet. "Gemessen an der Wiener Gesamtsituation und im Vergleich zu den großen Heimhilfeorganisationen spielt das SMUP vielleicht eine unbedeutende Rolle", meint einer der Gründer, der praktische Arzt Rolf Jens, doch würde man die vom SMUP geleistete Arbeit auf ganz Wien umlegen, ergäbe sich daraus ein jährlicher Spareffekt von fast acht Millionen Schilling für die öffentliche Hand.

"Durch unsere Arbeit ermöglichen wir es den alten Menschen, bei guter Betreuung länger zu Hause zu bleiben und nicht in ein Pflegeheim zu müssen." Eine Leistung, die nach Ansicht von Jens vor allem finanziell zu wenig gewürdigt wird: "Die Kostenerstattung ist äußerst dürftig, für die Arbeit der Ärzte in der Hauskrankenpflege gibt es derzeit keine aufrechten Verträge und die Schwesternarbeitszeit wird nur minimal abgegolten."

Von der Krankenkassa werden den Patienten für 24 Stunden Krankenpflege 120 Schilling zugestanden und das auch erst nachdem sie selbst das Geld vorgestreckt haben - für viele ältere Menschen ein beachtliches Problem. "Darum hat auch das SMUP in den vergangenen Jahren immer weniger Patienten in der Hauskrankenpflege versorgt", bedauert Rolf Jens.

Doch will man vor allem in diesem Bereich nicht locker lassen, wird doch die Hauskrankenpflege in zunehmenden Maße eine notwendige Voraussetzung für die Bewältigung des auf uns zukommenden Pflegebedarfs sein. "Ich kann nur hoffen, daß uns durch Novellen und Sparpakete die Liebe und Umsicht in der Pflege bedürftiger Menschen nicht noch mehr beschnitten wird, denn ohne sie kann die menschliche Würde in der Pflege nicht gewahrt werden", bangt die Zentrumsbetreuerin Annette Kitt. Trotzdem blickt das SMUP auch nach zehn Jahren recht hoffnungsvoll in die Zukunft: "Derzeit ist, dank eines Vertrags mit der Gemeinde Wien unser Weiterbestand gesichert". Zudem hat die Penzinger Initiative sogar schon Nachfolger gefunden: das SMIR in Rodaun und das SMID in Döbling und auch in Kaisermühlen wird gerade ein ähnliches Projekt aufgebaut.

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