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Damit sie daheim bleiben

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Von Ärzten unterstützt hat sich im 14. Wiener Gemeindebezirk eine Gruppe engagierter Leute zusammengefunden, die ihren alten Nachbarn mit Besuchen und Hilfsdiensten beistehen und so verhindern, daß sie unnötigerweise ins Spital abgeschoben werden.

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Von Ärzten unterstützt hat sich im 14. Wiener Gemeindebezirk eine Gruppe engagierter Leute zusammengefunden, die ihren alten Nachbarn mit Besuchen und Hilfsdiensten beistehen und so verhindern, daß sie unnötigerweise ins Spital abgeschoben werden.

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Aloisia G. * , 77, bewohnt trotz , ihrer vielfältigen Leiden und Bedürfnisse noch immer ihre eigene 3 5-Quadratmeterwohnung. Neben Knochenschwund und wechselhaftem Blutdruck beklagt sie ihre Wir- belsäulen-Beschwerden und vor allem die - Einsamkeit. Bei Schönwetter kann sie - vorausgesetzt, sie fühlt sich ganz gut, - wenigstens in den nahen Park gehen. Dort hat sie ihre Frauen zum Plaudern, wie sie sagt. Aloisia G. ist seit über einem Jahrzehnt Witwe, ihr Sohn hat sie seit 30 Jahren nicht mehr „an- g’schaut“ - ein tiefer Seufzer macht ihrer Verbitterung Luft. Um solange wie möglich in den eigenen vier Wänden treu den persönlichen Gewohnheiten und individuellen Wünschen leben zu können, ist die Wiener Seniorin auf die tatkräftige Unterstützung durch ihre Mitmenschen angewiesen. So geht ihr die Nachbarin ab und zu einkaufen; aufräumen und kochen kann Aloisia G. ohne fremde Hilfe — und ist stolz darauf. Aber die verschiedenen Wege - seien es Spaziergänge oder Besorgungen - werden zunehmend zum Problem. Vier Wochen ist es her, da hat die 77jährige beim Erklimmen der drei Stockwerke ihres Altbaus einen leichten Herzinfarkt erlitten. -Ein Mensch angewiesen auf andere.

Auch Theresia M. erlebt diese Abhängigkeit tagein tagaus. Die 92jährige Wienerin ist dennoch nicht in Depressionen verfallen, sondern beeindruckend fröhlich. Im Park erheitert sie die anderen Senioren, indem sie Anekdoten zum besten gibt. Über etwaige körperliche Gebrechen beklagt sie sich nicht. Seit 19 Jahren verwitwet, wohnt Theresia M. trotz allem in ihrer 30- Quadratmeter-Wohnung mit Klo am Gang. Die sehbehinderte Pensionistin muß sich immer mit den Händen anhalten, wenn sie vom einzigen Zimmer in die Küche geht. Vor einiger Zeit wurden Theresia M-s Star-kranke Augen operiert. Danach mußten sie täglich eingetropft werden. Nachdem Theresia M.s Enkelin, ihre einzige Verwandte in Wien, nur unzuverlässig zu Besuch kommt, war Not am Mann. In all diesen Situationen sprang das SMUP (= Sozial-Medizinisches Nachbarschaftszentrum Unterpen-

zing) ein: Robert Berger, der Theresia M. regelmäßig Gesellschaft leistet und zur Hand geht, kam täglich. Nicht etwa in dieser Phase der Augenschmerzen hat er die älteste SMUP-Klientin’ weinen gesehen, sondern als der Fernseher, die „Hauptbeschäftigung“ vonFrauM, kaputt war. Selbst dieses Problem hat das Nachbarschaftszentrum rasch und unbürokratisch gelöst Auch den pfarrlichen Seniorenclub kann die 92 jährige Theresia M. dank SMUP besuchen. In den Volkstanz- Stunden steckt sie die anderen mit ihrer Fröhlichkeit an: Sie tanzt mit -freilich ohne sich vom Sessel zu erheben…

Parallel zu dieser privaten und ehrenamtlichen Unterstützung wird Theresia M. auch von einer entgeltlichen Heimhilfe der Stadt Wien betreut, die sich um den Haushalt kümmert.

Die 77jährige, oben erwähnte, Aloisia G., kommt ohne Haushaltshilfe aus, wird aber auf ihren Spaziergängen von einer SMUP-Mitar- beiterin begleitet. Die übrigens 75jährige Betreuerin wohnt im sel- benHaus wie Frau G., was sie immer wieder zur gemeinsamen Jause Zu sammenkommen läßt. Sie findet SMUP „eine gute Sache“, die sie mit monatlich 250 Schilling freiwillig unterstützt.

Wie die Situation der Aloisia G. deutlich zeigt, ist das Hauptproblem der alten Menschen - zumindest in der Stadt - die Einsamkeit, das Gefühl, von allen vernachlässigt zu sein. Diesem Übel und dem Abschieben von älteren Menschen in Heime und Spitäler bei harmlosen Krankheiten hat SMUP den Kampf angesagt. Ausgehend vom Subsidiari- tätsprinzip, das die Lösung einer Aufgabe nur bei Versagen der kleinstmöglichen sozialen Einheit (Familie) der jeweils größeren (Bezirk, Stadtgemeinde., ^überantwortet, strebt die von den praktischen Ärzten des Grätzls getragene Privatinitiative eine Reduktion der Spitalsaufenthalte an.

Das eineinhalb Jahre junge SMUP versteht sich als Vermittlungsstelle für alle Arten von Nachbarschaftshilfe, wobei die gesuchten oder angebotenen Haushaltshilfen im Gegensatz zu den anderen Diensten in der Regel zu bezahlen sind - direkt vom Klienten an den Betreuer. Gegenüber den sozialen Diensten der Gemeinde Wien - im wesentlichen Heimhilfen und Besuchsdienst - erweist sich das Sozial-Medizinische Nachbarschäftszentrum Unterpenzing als flexibler, weil dezentral. Außerdem sind die Mitarbeiter anders motiviert: In der Regel verrichten sie ihre Dienste aus persönlichem Engagement und nicht um Geld zu verdienen. Die knapp neunzig SMUP-Mitarbeiter beziehen ihre Kraft zum Helfen zumeist aus dem christlichen Glauben und bezahlen sogar fünfzig Schillingmonatlichen

Mitgliedsbeitrag. Ein Teil der Hel- - fer ist humanistisch motiviert, ein weiterer Teil der größtenteils weiblichen SMUP-Aktivisten hat in den ehrenamtlichen Diensten einen . (neuen) Sinn gefunden.

Der erwähnte Mitgliedsbeitrag und die (Firmen-)Spenden dienen dem Betrieb des Stützpunktes. Dieser ist 24 Stunden telefonisch erreichbar, sodaß - ähnlich wie in Pflege-Institutionen-jederzeit Hilfe geholt werden kann. Außerdem bietet das Zentrum Mitarbeiter- Treffen zum Erfahrungsaustausch unter psychologischer Leitung an.

Neben der Organisation von lokalen Kinderbetreuungs- und Telefonringen im Kampf gegen die großstädtische Isolation bietet das SMUP-Zentrum auch einen Hauskrankenpflege-Kurs an. Die mobile Krankenpflege, für die sich Robert Berger staatlich bezahlte mobile Schwestern wünscht, hat zahlreiche Vorteile: Die kranke Person bleibt in der angestammten Umgebung, siewird partnerschaftlich und nicht in einem hierarchischen System gepflegt. Die Selbstbestimmung in wesentlichen Lebensbereichen bleibt erhalten.

Ähnliche Initiativen wie SMUP arbeiteninmehrerenBundes ländern mit Erfolg, dennoch ergibt sich in Wien, einer Stadt mit einem Anteil an über 60jährigen von 25,5 Prozent, ein besonderer Bedarf. Das Einzugsgebiet des SMUP, ein Teil des vierzehnten Wiener Gemeindebezirks, weist mit 48,7 Prozent einen besonders hohen Anteil an Ein- personen-Haushalten auf. Die daher notwendige Stärkung der kleinsten sozialen Gemeinschaften kann nur in einer von Vorschriften unbehinderten und persönlich engagierten Weise Erfolg haben, wie das SMUP beweist.

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