"Die Menschen warten im Nirgendwo"

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Niemand weiß, wie es weitergeht. Es gibt kein Licht am Ende des Tunnels und keinerlei Fortschritt im politischen Prozess. Den Menschen wird immer nur gesagt, sie sollen Geduld haben.

Wir müssen unsere Unterstützung fortsetzen, damit die Menschen überleben und zu ihrem Recht kommen können. (Yahya Buhubeini)

Seit 1975 betreuen die Helfer von "Roter Halbmond Westsahara" Flüchtlingslager im Krisengebiet. Yahya Buhubeini ist Chef der Organisation und seit 15 Jahren im humanitären Bereich tätig, davon zwölf Jahre bei den Vereinten Nationen.

Die Furche: Herr Buhubeini, wie sieht humanitäre Hilfe in der Wüste aus?

Yahya Buhubeini: Am ersten Tag jeden Monats liefern wir Lebensmittel in 36 Kindergärten und Schulen in den Flüchtlingslagern. Dabei arbeiten wir mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen zusammen. 42.000 Kinder erhalten eine nahrhafte Jause in Form einer Tasse Milch aus 50 Gramm Milchpulver und einem hoch energetischen Stück Gebäck. Seit heuer wurden die vitamin-und mineralstoffreichen Biskuit-Rationen von 80 auf 40 Gramm reduziert, und für das nächste Jahr fehlt uns die Finanzierung dafür überhaupt noch zur Gänze. Am Zweiten des Monats starten wir das Nahrungsergänzungsprogramm für 22.500 Kinder, Schwangere und stillende Mütter und verteilen 200 Gramm Soja-Mehl, das mit Zucker und Nährstoffen vermischt ist und aus dem eine Suppe zubereitet werden kann. Ab dem dritten Tag des Monats werden an Familien Essenskörbe verteilt, in Summe sind das etwa 125.000 Essensrationen für die Allerärmsten hier in den Camps. Ein solcher Korb beinhaltet 17 Kilo an Reis, Zucker, Öl und besonders nährstoffreichem Getreide. Das erste Programm muss in zwölf Tagen absolviert sein, das zweite in vier. In den letzten zehn Tagen des Monats verteilen wir frisches Obst. Auch hier mussten wir Kürzungen vornehmen, weil das Geld fehlt: von ursprünglich drei Kilo auf ein, eineinhalb Kilo. Insgesamt sprechen wir hier von etwa 200 LKW-Ladungen pro Monat -eine große Herausforderung für unsere Logistik-Abteilung. Wir wissen: Schaffen wir den Transport günstiger, können wir mehr für die Menschen zu essen kaufen, aber angesichts der Wege und der Straßensituation hier ist das eine schwierige Aufgabe.

Die Furche: und die Wasserversorgung?

Buhubeini: die stellt eine weitere große Herausforderung dar. In zwei der Camps liefern wir das Wasser mittels LKW zu den Wasserspeichern der Familien vor den Zelten und Hütten. Oft sind diese Tanks in grauenhaftem Zustand und aus Metall, das rostet. Außerdem müssten die zum Teil schon 35 Jahre alten Trucks längst erneuert werden. Die drei übrigen Camps werden mittels Wasserleitungen versorgt, die von Frauen gewartet werden. Das Wasser aus der Ursprungsquelle ist nicht schlecht, aber das Problem sind die Hitze und die verschmutzten Tanks. Wir fügen dem Wasser zwar Chlor hinzu, aber im Sommer hält das höchstens für drei Tage -es ist einfach zu weit entfernt. Eine Lösung wäre die Erschließung einer zweiten Quelle. Die gibt es, 25 Kilometer entfernt von einem Lager. Doch dafür wären fünf Millionen Dollar notwendig, die wir nicht haben. Zwar können wir Wasser auch filtern, dabei gehen aber große Mengen davon verloren. Die Qualität des Wassers ist einfach nicht gut. Viele Menschen hier haben braune, brüchige Zähne - aber nicht etwa von Süßigkeiten oder Zucker, sondern von verunreinigtem Wasser. Es ist salzig und enthält viel Fluorid.

Die Furche: Wie geht es den Menschen in den Lagern?

Buhubeini: Niemand weiß, wie es weitergeht. Auch nach so langer Zeit gibt es kein Licht am Ende des Tunnels und keinerlei Fortschritt im politischen Prozess. Die einzige Botschaft, die die Menschen seitens der UNO bekommen, ist, dass sie weiter warten müssen. Ihnen wird immer nur gesagt, dass sie weiter Geduld haben sollen, und das seit mehr als vier Jahrzehnten. Wir müssen unsere Unterstützung fortsetzen, damit die Menschen in der Wüste überleben und zu ihrem Recht kommen können. Die Menschen warten hier im Nirgendwo.

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