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Die jüngeren Gedichte von Juri Andruchowytsch verschreiben sich der gegenwart.

Diese Gedichte kommen aus einer anderen Zeit. Sie sind pathetisch, weil sie nichts Geringeres zu retten haben als das Gedächtnis der Menschen in einem weltabgewandten Winkel der Geschichte. Die verlorenen Gestalten hocken dort, denen abgesprochen wird, teilzuhaben an den Errungenschaften der Moderne. Etwas verknöchert wirken sie und ein bisschen rückständig. In Lemberg gingen nämlich seit den Jahren der Monarchie die Uhren schon langsamer als anderswo in der Welt. Die kleinen Leute verzehren sich nach einem anderen Leben und bleiben doch stumme Verlierer, ausgeschlossen vom Fortschritt.

So sieht die vordergründige Lesart der frühen Gedichte des ukrainischen Schriftstellers Juri Andruchowytsch aus. Unter dem großen Anspruch, Gegengeschichtsbilder zur offiziellen Überlieferung zu schaffen, droht ein so zartes Gebilde wie ein Gedicht bald einzuknicken. Deshalb muss etwas anderes dazukommen, was die Schwere in Leichtigkeit aufhebt. So wandelt sich Geschichte bei Andruchowytsch zum Ort, wo magisches Denken und Vernunft aufeinandertreffen. Angesichts dessen, was alles spurlos verschwunden ist, wirkt die Gegenwart mickrig und leer. Ein so selbstbewusster Organismus wie eine Stadt wird die Geister der Vergangenheit nicht los: „Wale leben im Untergrund der Stadt. Und Molche. / Und auch Delfine.“ Alles ist da im Hier und Jetzt, man muss es nur zu sehen wissen. Das Sakrale und das Säkulare („in der Kirche wurde ein Bahnhof eingeweiht“) bilden ebenso eine Einheit wie das Gestern und Heute, die Gewalt und die Zärtlichkeit.

Ganz woanders

Schnitt! Das trifft zu für die Auswahl der Gedichte aus den Jahren von 1985 bis 1990 („Exotische Vögel und Pflanzen“). In den Jahren 1999 bis 2004, als der Zyklus „Lieder für den toten Hahn“ entstand, befindet sich Andruchowytsch ganz woanders. Die jüngeren Gedichte verschreiben sich der Gegenwart, locken ein lyrisches Ich aus der Reserve, es versteckt sich hinter einer Maske der Ironie im Bewusstsein, dass es auf verlorenem Posten steht: „Weißt du, Alter, man geht manchmal Erinnerungen / und Berührungen aus dem Weg. / Es kann passieren, dass man seine / Lieblingsmusik abstellt / und den Kopf / in ein paar Kissen vergräbt.“ Der Befund ist niederschmetternd, hoffnungslos aber ist die Lage nie.

Werwolf Sutra

Gedichte von Juri Andruchowytsch

Das Wunderhorn 2009. 93 S., brosch., e 18,30

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