"Rolle Irans wird überschätzt"

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Die Jemen-Expertin Elham Manea über ihre Heimat Jemen und eine Geschichte der Kriege und der Kolonialherrschaft, die die heutigen Konflikte erklären kann.

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Die Jemen-Expertin Elham Manea über ihre Heimat Jemen und eine Geschichte der Kriege und der Kolonialherrschaft, die die heutigen Konflikte erklären kann.

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Elham Manea, 1966 in Sanaa geboren, ist Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft, Universität Zürich. Sie war auf Einladung des Wiener Instituts für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit (vidc) in Wien.

Die Furche: Einmal direkt gefragt: Wer sind im Jemen-Konflikt eigentlich die Guten?

elham Manea: Es gibt hier keine Guten und Bösen. Alle beteiligten Akteure sind für die Situation veantwortlich. Die einzig Guten sind die einfachen Menschen, die zwischen den Kriegsparteien aufgerieben werden und hungern.

Die Furche: Im Kalten Krieg gab es den kommunistischen Südjemen und den westlich orientierten Nordjemen. Spielt das aber heute noch eine Rolle?

Manea: Die Geschichte spielt eine große Rolle. Der Süden ist keine Einheit. Was während des kommunistischen Regimes passierte, führte zur Marginalisierung bestimmter Regionen und Clans. 1986 gab es im Süden einen Bürgerkrieg mit mehr als 13.000 Toten in zwei Wochen. Saleh hat 1994 den Krieg gewonnen, weil er die Unterlegenen des Bürgerkriegs von 86 auf seine Seite ziehen konnte. Wenn wir also heute eine Lösung finden wollen, sei es auch durch eine neuerliche Teilung des Jemen, dann müssen wir die Ereignisse aus der kommunistischen Zeit berücksichtigen. Andernfalls könnte sich das Schicksal von Libyen wiederholen.

Die Furche: War die damalige Teilung ideologischer oder historischer Natur?

Manea: Der Südjemen hieß früher Südarabien und bestand aus 24 Sultanaten, Scheichtümern und Imamaten. Der Staat wurde dann von den Briten gegen den Willen dieser kleinen Potentaten unter dem Banner der panarabischen Ideologie durchgesetzt. Der Norden verbündete sich mit Saudi-Arabien und damit indirekt mit den USA, der Süden mit dem sozialistischen Lager. Alles endete 1990 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der Südjemen war nicht mehr lebensfähig. Aber nach der Vereinigung stellte man fest, dass man einen Fehler begangen hatte. Saleh wollte die Macht nicht teilen. Aber in der Politik braucht man die Zusammenarbeit der verschiedenen Spieler. Saleh hat einmal gesagt, den Jemen zu regieren, ist wie auf den Köpfen von Schlangen zu tanzen.

Die Furche: Wie kommen jetzt die Huthis ins Spiel? Sie werden gewöhnlich als eine schiitische Miliz beschrieben.

Manea: Die Huthis sind Zaiditen. Dann gibt es die Haschemiten, die sich als direkte Nachfolger des Propheten Mohammed betrachten. Die Haschemiten waren im Nordjemen die Herrscher und stellten die Imame, während die Stämme der Qahtanis das Fußvolk bereitstellten, das die Macht der Imame absicherte. Die Zaiditen kennen eine Regel, die es erlaubt, sich gegen einen ungerechten Herrscher zu erheben. Also jedesmal, wenn eine Gruppe mit einem Imam nicht einverstanden war, gab es einen Aufstand. Deswegen ist die politische Geschichte des Nordjemen so kompliziert. Nach einem Putsch 1962 wechselten die Machtverhältnisse. Die Zaiditen wurden zu den Herrschern und die Haschemiten spielten die zweite Geige und wurden diskriminiert. Der Nordjemen wurde theokratisch und in einer Art Kastensystem regiert.

Die Furche: Die Huthis werden immer als vom Iran gesteuerte Miliz beschrieben.

Manea: Die Rolle des Irans wird überschätzt. Der Iran hat Beziehungen zu den Huthis.

Die Furche: Warum interveniert Saudi-Arabien im Jemen?

Manea: Die Saudis wollen einen stabilen Jemen, aber stabil in deren Sinn, nicht dass jemand die Kontrolle hat, der dem Iran nahesteht. Die Intervention begann erst, als die USA das Atomabkommen mit dem Iran geschlossen hatten. Die Saudis waren verärgert und fühlten sich von einem strategischen Partner im Stich gelassen. Als der Jemen noch geteilt war, hatte Saudi-Arabien gute Beziehungen zu den Huthis. Die Außenpolitik der Saudis ist nicht sektiererisch, sondern von geopolitischen Interessen geleitet. Zuerst unterstützten sie die Zaiditen, dann Saleh. Saudi-Arabien hat einen starken Jemen immer gefürchtet.

Die Furche: Gibt es so etwas wie eine Zivilgesellschaft im Jemen?

Manea: Sie war sogar sehr stark. Jede Menge NGOs und Frauenorganisationen, die zum Thema Identität arbeiteten. Es ging darum, über die Identität des politischen Regimes hinaus zu denken. Allerdings ist die Lage seit 2011 immer schwieriger geworden. Heute ist die Organaisation Mwatana sehr aktiv. Alle Konfliktparteien hassen sie, weil sie die Menschenrechtsverletzungen aller Seiten dokumentiert.

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