Der Künstler als Lügner

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Der belgische Schriftsteller, Journalist, Filmemacher, Fotograf und bildende Künstler Marcel Broodthaers (1924-76): kapitalismuskritische Ironie zwischen allen Disziplinen.

Er war Schriftsteller, Journalist, Fotograf und Filmemacher. Mit vierzig gab der 1924 geborene Marcel Broodthaers seine bisherige Laufbahn auf und beschloss, Künstler zu werden. An sich kein ungewöhnlicher Schritt. Überraschend ist nur die Motivation, die Broodthaers auf der Einladungskarte seiner ersten Ausstellung für den Berufswechsel angab: "Auch ich habe mich gefragt, ob ich nicht etwas verkaufen und im Leben Erfolg haben könnte [...] Schon eine ganze Zeit bin ich zu nichts nutze [...] Schließlich kam mir die Idee in den Sinn, etwas Unaufrichtiges zu erfinden." Broodthaers bekennt sich also zu seiner Erfolglosigkeit als Dichter, spricht den möglichen kommerziellen Erfolg des bildenden Künstlers an und spielt mit dem Begriff der Täuschung.

Verhältnis Sprache - Bild

Die einzige Möglichkeit für ihn, Künstler zu sein, "ist vielleicht ein Lügner zu sein, weil schließlich auch alle Wirtschaftsprodukte, der Handel, die Kommunikation Lügen sind", folgert Broodthaers. Optisch wird dieser theatralisch inszenierte Schritt in die Kunstwelt durch ein Recycling-Objekt illustriert, bei dem Broodthaers 50 nicht verkaufte Exemplare seines Buches "Pense-Bête" in Gips eingießt und somit aus der Literatur eine nun nicht mehr "lesbare" Skulptur fabriziert. Diese ersten Arbeiten deuten die Richtung an, die Broodthaers in seiner Kunst einschlagen wird. Es geht ihm um die Hinterfragung des Kunstmarktes als kommerzielles System, aber auch um das Verhältnis von Sprache und Bild - um die Grenzen zwischen Kunst- und Literaturwelt. Stets pendelt Broodthaers zwischen den Disziplinen hin und her. Genauso geschickt wechselt er die Medien: Film, Fotografie, Objekte und Texte sind bloß Mittel zur Umsetzung seiner Ideen. Einmal schlüpft Broodthaers in die Rolle des Ethnologen und Archivars, dann in die des Gesellschaftskritikers oder des philosophierenden Poeten.

Fiktives Museum

Sein analytischer, kapitalismuskritischer, zugleich aber immer humorvoll-ironischer Ansatz macht ihn zu einem der einflussreichsten Persönlichkeiten für die Gegenwartskunst. Zwar genießt er lange nicht denselben Bekanntheitsgrad wie Marcel Duchamp, seine wegbereitende Funktion ist jedoch unübersehbar. Denn im Grunde hat Broodthaers viele Momente, die heute von jungen Künstlern thematisiert werden, längst vorweggenommen. Etwa die kritische Hinterfragung der "Institution" Museum. So gründet der belgische Querdenker 1968 in seiner Brüsseler Wohnung das fiktive "Musée d'Art Moderne", sich selbst ernennt er zum Direktor. Auch thematisiert Broodthaers den Marktwert eines Künstlers und dessen Signatur als Beweis für die Echtheit eines Kunstwerkes: Auf Tafeln und Zeichnungen erhebt er seine Signatur "M. B." (1970) zum einzigen Bildsujet. "Ich glaube nicht an den einzigartigen Künstler oder an das einzige Werk. Ich glaube an Phänomene und Menschen, die Ideen vereinigen", meinte Broodthaers. Die Signatur-Tafeln und andere Text-Bilder des 1976 verstorbenen Belgiers sind derzeit in einer Ausstellung der Kunsthalle Wien zu sehen. Es ist zugleich die erste, wenn auch nicht sehr umfangreiche Broodthaers-Schau in Österreich. Aus dem vielfältigen Werkkomplex hat man sich in der Kunsthalle auf zwei Schwerpunkte konzentriert. Auf Werke, die kapitalismuskritisch um die Thematik Marke, Tauschwert, Original und Kopie kreisen und auf Arbeiten, die den Reisenden Broodthaers beleuchten. Ein Highlight findet man in Form der Skulptur "La Banque" (1964- 1968) - eine Bank-Schalter-Attrappe und Relikt eines Happenings, bei dem Dichter durch die Fenster dieser "Bank" ihre Gedichte vortrugen.

So spannend Marcel Broodthaers Werk für die Kunst erscheint, so schwierig ist es, eine Ausstellung dieses Künstlers zu gestalten, wie man in der Kunsthalle sieht. Denn erst durch genaue Beschäftigung erschließt sich ein derart komplexes und poetisches Werk. Insofern kann eine Schau wie bei einer historischen oder wissenschaftlichen Ausstellung lediglich als Impuls dazu dienen, sich mit Broodthaers, dessen Schriften, Objekten und Filmen zu befassen.

Poesie stört

Verlässt man die Kunsthalle letztendlich mit dem Gefühl, man habe manches nicht ganz begriffen, kann man sich damit trösten, dies entspräche ganz der Intention von Marcel Broodthaers. Denn auch seine Arbeit als bildender Künstler umschrieb er mit den Begriffen des Poetischen und der Irritation: "Die Poesie stört die Gewohnheiten einer Welt, wo man versucht, alles zu erklären, alles in Ordnung zu bringen".

Marcel Broodthaers

Kunsthalle Wien

Museumsplatz 1, 1070 Wien

Bis 26. Oktober täglich 10-19 Uhr,

Donnerstag 10-22 Uhr.

Information: www.KUNSTHALLEwien.at

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