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Traumboot der Verliebten

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Die Gondel: leicht, nervös, elegant, sehr beweglich, mit ausschwingenden Kurven, aggressiv in ihrem Rostrum, diskret-verschwiegen in ihrem „felze“, das wahre Traumboot der Verliebten, das kurioseste Werk des Schiffbaues, das alles ist Venedigs typische Barke. Ihr Ursprung verliert sich im Dunkel der Zeiten, und selbst ihr Name bleibt geheimnisvoll ungeklärt. Wirklichkeit und Phantasie, Geschichte und Legende umspielen die Gondel nicht anders als die Stadt, der sie dient. Wie Venus scheint sie aus dem Meer geboren zu sein; man will ihren Namen vom griechischen „kondi“, Muschel, herleiten, oder auch vom lateinischen „cym-bula“, Barke. Müßige etymologische Entzauberung einer Bezeichnung, in der das lautlose Gleiten, die leise schaukelnde Fahrt durch schweigende Kanäle und Rii mitklingt: die Gondel.

Ein anonymer Chronist erwähnt sie bei der Wahl des ersten Dogen Anafestus in Heraclea. Das war 697. Mit den Flüchtlingen war sie in die Lagune gekommen. Der Doge Vitale Falieri nennt sie in seinem Diplom im Jahre 1094. Sie gehört dem Liradel der Seefahrzeuge an. Triremen, Wikingerboote, Galeeren sind aus der Geschichte verschwunden oder Museumstücke, nur die Gondel lebt.

Es ist kein leichtes, behütetes Leben, sondern eines, das erkämpft werden muß. Die den Canal Grande hinauf und hinab stampfenden „vaporetti“, die durch die Kanäle Venedigs pflügenden nüchtern-modernen Motorboote suchen das poetischste Fahrzeug, das jemals Menschenhände bauten, zu verdrängen. Es gibt Kampfpausen in dem Kriege, aber dann flammt der Streit wieder auf; Unruhe und Agitation liegen in der Luft. Die Gondolieri betrachten den ihren als einen heiligen Krieg für die Erhaltung der Eigenart, der Schönheit und Poesie. Sie kennen, besser als andere, die verborgenen und sichtbaren Zerstörungen des Wellenschlags der Dampfboote an den Fundamenten der Bauwerke. Von den Brücken aus sollen die Polizisten darüber wachen, daß die Vorschriften zur Beschränkung der Geschwindigkeit eingehalten werden. Aber man weiß, wie die Dinge liegen: auch der Verkehr, der Transport von Menschenmassen hat seine zwingenden Notwendigkeiten, und oft müssen beide Augen zugedrückt werden.

An Gondeln gibt es heute etwa fünfhundert, im 17. Jahrhundert waren es zehntausend. Eine unvorstellbare Zahl. Venedig muß gewimmelt haben von diesen Barken, die in ihrer schwarzen Farbe ein wenig an Leichenpomp erinnern. Doch es war nicht immer so. Schwarz sind die Gondeln erst seit dem 8. Oktober 1562. An jenem Tage erließ der Magistrat der Serenissima eine Ordhianz, mit der er der Ueppigkeit, dem Luxus, dem beispiellosen Aufwand ein Ende machen wollte, den die Venezianer mit der Ausstattung ihrer Gondeln trieben. Bis dahin waren die Gondeln bunt bemalt gewesen, reich vergoldet, mit Intarsien aus Mahagoni und Fjbenholz, Halbedelsteinen, seidenen Biokaten, Samten und Elfenbeinschnitzereien verziert. Die schwarze Farbe, von den Gondolieri nach alten Rezepten aus einer Mischung von Ruß und Firnissen selbst angefertigt, ist von jener Zeit der „Austerity“ zurückgeblieben, die der Doge Girolamo Priuli seinen Venezianern auferlegte. Damals wurde auch den Hetären Venedigs verboten, eigene Gondeln zu besitzen.

Aber auch des Luxus entkleidet bleibt die Gondel ein elegantes, geniah ausgewogenes und in vieler Hinsicht merkwürdiges Fahrzeug. Am seltsamsten, einzigartig geradezu, ist ihre Un-symmetrie sowohl der Längsachse wie der Querachse nach. Kein anderes Schiff weist diese Eigenart auf. Der rechte Teil der Barke ist um 24 Zentimeter schmaler als der linke; die Gondel hängt also über, auch wenn sie stilliegt, auch wenn sie unheladen ist. Das erleichtert das Wenden in den Kanälen. Die Gondel muß genau 10,1 5 Meter lang sein, keinen Zentimeter mehr, keinen weniger, das verlangt die Tradition. Und sie muß aus acht verschiedenen Hölzern gebaut sein, aus Fichte, Eiche, Ulme, Nuß, Lärche, Buche, Linde und Kirsche.

Am auffälligsten ist zweifellos das Bugeisen, das „ferro“. Es dient nicht der Aesthetik allein, sondern stellt das Gleichgewichtsorgan der Barke dar. Mit seinen gut zwanzig Kilogramm hilft es, das Gewicht des Gondoliere am Heck auszugleichen, dessen abschätzendem Auge ist es ein Zielpunkt. Die Form hat sich seit zwei Jahrhunderten nicht mehr geändert. Der Stolz der Serenissima findet in ihm seinen symbolischen Ausdruck. Denn der oberste Teil des „ferro“ versinnbildlicht die Mütze des Dogen, die Staatsautorität, die kleine Rundung darunter das „wachende Auge der Republik“, die sechs Zacken je einen Stadtteil Venedigs, nämlich San Marco. Castello, Santa Croce, Canna-regio, San Polo und Dorsoduro. Die gegenüberliegende einzelne Zacke soll nach einer Interpretation die Insel Giudecca, nach einer anderen die ausländischen Besitzungen der Republik Venedig im Mittelmeer bedeuten.

Man hat die Kunst des Gondelbaues mit jener der Geigenmacher verglichen, und wie diese in Cremona ihre berühmteste Heimstätte fanden, so waren unter den Gondelbauern die aus dem Cadore bevorzugt. Die Brüder Fassi, ein Giuseppe Casal haben der Gondel um die Mitte des 19. Jahrhunderts die endgültigen Linien und Proportionen gegeben. Sie waren die Amati, die Stradivari des Gondelbaues. Die vielen kleinen Werften, die „squeri“, um San Marco und das Arsenal herum sind heute freilich verschwunden. Wenige Handwerker sind zurückgeblieben, immer weiter an die PeripHerle verdrängt, und noch weniger Meister.

Wenn der Vergleich der Gondel mit einem Musikinstrument gewagt wird, warum dann nicht auch der des Gondoliere mit dem Manne, der es spielt? Eine Gondel zu rudern, ist schwierig und gelingt, nach den Regeln der Kunst, erst nach jahrelanger Uebung. Der Vater vererbt seine Fertigkeit dem Sohne, das einzige Erbe, das er ihm zurücklassen kann. Kein Gondoliere darf die Gondel führen, ohne ein „Patent“ zu besitzen; er erhält es von einer Kommission erfahrener Gondolieri nach einer strengen Prüfung. Unweigerlich hat der Prüfling den wegen seiner Enge und Winkeligkeit berühmten Rio della Verona rasch und sicher zu durchqueren, ohne jemals die Mauern rechts und links zu berühren.

Der Gondoliere ist mehr als ein Schiffer, er ist zugleich Cicerone seiner Stadt und in ihrer Heimat- und Kunstgeschichte gut beschlagen. Er muß eine Schule besuchen, wo Francesco Turchetto, selbst ein alter Gondoliere, aber dazu auch Heimatforscher und Poet, die Vorlesungen hält. Wer mehr von Venedig wissen will, als im Baedecker steht, der kann sich an Francesco Turchetto wenden. Man trifft ihn mit Sicherheit um die Mittagsstunde am Ponte della Paglia. Wenn Maestro Francesco guter Laune ist, zitiert er wohl auch Verse, in denen de Musset, Goethe, D'Annunzio oder Byron die Gondel besangen, oder sogar seine eigenen, von der „Ruhe in der Bewegung“, wie sie nur der Gondel eigen ist.

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