Aufbegehren ohne JEDES MASS

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"Das Mitgefühl, das man zunächst für die unterdrückte Lady empfindet, schlägt dabei zunehmend in Entsetzen um, als klar wird, dass diese Frau keine Skrupel kennt."

Streng komponiert

In genau kadrierten, statischen Einstellungen vermittelt der Film eindrücklich das Gefängnis, das das Leben für Katherine (Florence Pugh) als Gattin des Sohns eines Minenbesitzers darstellt.

Bruchlos hat Drehbuchautorin Alice Birch Nikolai Leskows 1865 erschienene Novelle "Die Lady Macbeth von Mzensk", die schon Schostakowitsch als Vorlage für eine Oper diente, vom zaristischen Russland ins viktorianische England des Jahres 1856 verlegt. Auch merkt man dem Film nicht an, dass Regisseur William Oldroyd, abgesehen von drei Kurzfilmen, bislang "nur" fürs Theater arbeitete: Messerscharf ist seine Inszenierung von "Lady Macbeth", kühl, aber glasklar und von größter Präzision.

In genau kadrierten, statischen Einstellungen vermittelt der 38-jährige Brite eindrücklich das Gefängnis, das das Leben für Katherine (Florence Pugh) als Gattin des Sohns eines Minenbesitzers darstellt. Dessen Vater Boris (Christopher Fairbank), der ganz von Gier nach Geld getrieben wird, hat die junge Frau zusammen mit einem kleinen Stück Land gekauft, damit sie seinem Sohn Alexander (Paul Hilton) einen legitimen Erben gebäre. Doch der Sohn, der selbst vom Vater unterdrückt wird und im Grunde ein Schwächling ist, tritt ihr gegenüber zwar herrisch auf, zeigt andererseits aber kein Interesse an körperlichem Kontakt. Er befiehlt ihr zwar, sich nackt auszuziehen und an die Wand des Schlafzimmers zu stellen, befriedigt sich dann aber vor ihren Augen selbst.

Sturz der patriarchalen Macht

Mehr noch als das enge Korsett schnürt ihr das Leben im Landhaus förmlich die Luft ab. Nicht nur gesellschaftliche Konventionen, sondern auch die Kirche erscheint hier in wenigen prägnanten Szenen als Unterdrücker.

Ihr Haar öffnen und hinaus in die freie Natur möchte Katherine immer wieder, doch dies wird ihr von Mann und Schwiegervater verboten, gilt als Raum der Frau doch das Haus.

Als ihre beiden Peiniger aber aus geschäftlichen Gründen das Anwesen verlassen, bricht sie trotz des Verbots aus der Enge aus. Die weiten Totalen der wolkenverhangenen, grünen englischen Landschaft bilden einen starken Kontrast zur Enge der kahlen Räume und lassen ihre Sehnsucht nach Freiheit spüren.

Während der Abwesenheit der beiden Männer stößt Katherine aber auch auf den neuen Stallburschen Sebastian (Cosmo Jarvis), der seine sadistischen Spiele mit der stummen schwarzen Dienerin Anna (Naomie Ackie) treibt. Katherine unterbindet zwar das Treiben, weist Sebastian entschlossen in die Schranken, ist aber gleichzeitig fasziniert von dem rohen, schmutzigen und triebhaft-animalischen Mann. Als er abends in ihr Zimmer kommt und sie vergewaltigen will, widersetzt sie sich ihm nur kurz, um dann eine umso leidenschaftlichere Affäre zu beginnen.

Erscheint sie zunächst als Opfer, so wird sie zunehmend zur treibenden Kraft. Weil sie sich nur mit Gewalt aus ihrem Ehegefängnis befreien kann, vergiftet sie so nicht nur ihren Schwiegervater, sondern erschlägt auch brutal ihren Mann. Doch nur für kurze Zeit ist das Liebesglück und die Befreiung aus der Abhängigkeit damit gesichert, denn bald stellt sich ein neues Hindernis ein, das nur mit einem weiteren Mord beseitigt werden könnte.

Aufs Wesentliche reduziert ist dieses Historiendrama, keine Einstellung zu viel gibt es hier. Eine Kälte, die den Zuschauer im Kinosaal frösteln lässt, strahlt dieser meisterhaft kontrolliert und konzentriert inszenierte Film nicht nur durch die statischen Einstellungen, durchs reduzierte Dekor und jeden Verzicht auf Opulenz, sondern auch durch den messerscharfen Schnitt, die knappen, aber präzisen Dialoge und den sehr reduzierten Musikeinsatz aus. Gleichzeitig spürt man im Einsatz der Handkamera auch immer wieder, wie unter Katherines beherrschter Oberfläche die Leidenschaften brodeln.

Das Mitgefühl, das man zunächst für die unterdrückte Lady empfindet, schlägt dabei zunehmend in Entsetzen um, als klar wird, dass diese Frau keine Skrupel kennt, wenn es darum geht, ihren Wunsch nach Selbstbestimmung zu verwirklichen. Faszinierend wird diese eiskalte und heuchlerische Protagonistin von der erst 21-jährigen Florence Pugh gespielt. Sie agiert sehr zurückhaltend, strahlt aber gleichzeitig enorme physische Präsenz aus.

Was vom Setting und der Figurenkonstellation her an Emily Brontës "Wuthering Heights" erinnert, gewinnt in dieser Figur einen Dreh in Richtung der Femme fatale im amerikanischen Film noir. Denn wie diese dirigiert Katherine Sebastian und bringt den Männern das Verderben, weil sie alle an Kaltschnäuzigkeit übertrifft.

Herrschaft der weißen Oberschicht

Gleichzeitig ist "Lady Macbeth" aber auch ein kühl stilisierter Film über Machtverhältnisse, über Kontrolle und Leidenschaft, über Demütigung und Ausbeutung und die Rebellion, die daraus entstehen kann.

Cosmo Jarvis ist als Sebastian ein perfekter Gegenpol zu dieser beherrschten Frau, animalisch wild und ungepflegt. Während sie sich mit ihrer Eiseskälte vom Opfer zur Herrin wandelt, bleibt er, ebenso wie die von Naomie Ackie ebenfalls stark gespielte schwarze Anna, das Opfer. Mit diesen Figuren wird das Historiendrama über die Abrechnung mit patriarchalen Strukturen hinaus am Rande auch zu einer Auseinandersetzung mit Klassenverhältnissen und Rassenfragen. Die patriarchale Macht mag Katherine brechen, eine Frau mag die Herrschaft übernehmen, doch prolongiert wird damit die Macht der weißen Oberschicht, während die Unterschicht, die für den Sturz der Tyrannen benützt wurde, die Rechnung zahlen muss: Wie eine Königin thront diese Lady Macbeth am Ende in blauem Kleid mit eisigem Blick auf ihrem Sofa.

"Wie eine Königin thront diese Lady Macbeth am Ende in blauem Kleid mit eisigem Blick auf ihrem Sofa."

Lady Macbeth GB 2016. Regie: William Oldroyd. Mit Florence Pugh, Cosmo Jarvis, Paul Hilton, Naomie Ackie, Christopher Fairbank. Polyfilm. 89 Min.

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