ballade von der weissen kuh - © Filmladen

„Ballade von der weißen Kuh“: (Un-)Freiwillige Verstrickungen

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Das Drama von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha thematisiert die Todesstrafe im Iran – mit einem unheimlichen Ende.

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Das Drama von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha thematisiert die Todesstrafe im Iran – mit einem unheimlichen Ende.

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Der iranische Film „Ballade von der weißen Kuh“ packt ein heißes Eisen an. Wie aktuell sein Anliegen ist, zeigt sich daran, dass vor Kurzem Farideh Moradkhani, die Nichte des Ayatollahs Ali Khamenei, verhaftet wurde, weil sie sich gegen die Todesstrafe engagiert, die 2020 in dem islamischen Staat laut einem Bericht von Amnesty International weltweit am häufigsten vollstreckt wurde. Was dieser Umstand mit den Hinterbliebenen, mehr noch mit der iranischen Gesellschaft macht, das sondieren Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha sehr differenziert.

Vor einem Jahr wurde Minas Ehemann hingerichtet, aber aufgrund falscher Zeugenaussagen. Wie gewohnt sucht die Justiz ihren Irrtum mit dem staatlich festgelegten Blutgeld unter den Teppich zu kehren. Mina hingegen will, dass der korrupte Justizapparat den Schuldigen zur Verantwortung zieht, den Ruf und das Ansehen ihrer Familie durch eine öffentliche Entschuldigung wiederherstellt. Unverhofft steht ein angeblicher Freund ihres Mannes vor der Tür, wie ein Engel scheint er von Allah gesandt, um eine alte Schuld zu begleichen. Aber der Zuschauer weiß es bald besser, da der Film überraschend die Erzählperspektive wechselt. Reza ist der Richter, der Minas Mann zum Tode verurteilte. Jetzt sucht er sein Gewissen zu erleichtern, indem er mit der Logik seines Berufsstandes seine Schuld mit Geldwerten abtragen will. Allerdings erregt er mit seinem Alleingang den Unmut des religiös-patriarchalischen Systems.

Die Illusion vom selbstbestimmten Leben

Der Film entfaltet seine Tragik unaufdringlich und langsam, zieht den Zuschauer immer mehr in seinen Bann, indem er mit Mina und Reza die Welten der Funktionäre und der normalen Bevölkerung feinsinnig ineinander spiegelt, für beide Seiten Verständnis und Mitgefühl aufbringt. Gleich einem bürgerlichen Trauerspiel legt er sorgfältig die Abhängigkeit der Menschen, die Entfremdung zwischen oben und unten frei. Wie gefangen die Figuren in dem religiös durchdrungenen Alltag sind, wie niedergedrückt die Stimmung ist, das versteht der Film auch formal plastisch zu vermitteln durch seine gedämpfte Farbigkeit, durch Kontrastierung von Schwarz und Weiß, durch Einpassungen in Gehäuse. Raumgreifende Schritte sind zumeist Beschwernis, finden auf den Gängen der Institutionen statt.

Staatsdiener wie Reza leben komfortabel in ihren großzügigen Wohnungen, abgeschottet von der Realität. Doch notgedrungen wird der Richter durch die Begegnung mit Mina zu einem Forschungsreisenden in ein ihm „fremdes“ Land, wo sich viele resigniert mit Drogen und Alkohol betäuben. Frauen wie Mina hingegen kämpfen gegen die religiös zementierte männliche Vorherrschaft. Mit ihr lernt Reza eine selbstbewusste Schicht kennen, die sich von der staatlich verhängten Lebensweise immer mehr entfernt, den Valentinstag feiert, sich als Haustiere die als „unrein“ propagierten Hunde hält. Aber Minas Glaube, das eigene Leben selbstbestimmt und mit Anstand führen zu können, entpuppt sich als Illusion. Je mehr sie sich ihrem Gefühl und damit Rezas Obhut vertrauensvoll überlässt, desto unfreier wird sie, desto mehr verstrickt sie sich unfreiwillig in die Machenschaften des Systems. Das unheimliche Ende schüttelt man nicht so leicht ab.

Die Autorin ist freie Filmkritikerin.

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