EIN PROPHET - © Sony

"Ein Prophet": Milieustudie, Parabel, Drama

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Er war beim Auslands-Oscar der große Konkurrent von Michael Haneke – und ging wie dieser leer aus. Dennoch ist Jacques Audiards Gefängnisdrama „Ein Prophet“ ein grandioser Film.

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Er war beim Auslands-Oscar der große Konkurrent von Michael Haneke – und ging wie dieser leer aus. Dennoch ist Jacques Audiards Gefängnisdrama „Ein Prophet“ ein grandioser Film.

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Die Anmutung ist eine religiöse: „Ein Prophet“, so hat Jacques Audiard, der große – und gleichfalls unterlegene – Konkurrent von Michael Haneke beim heurigen Auslands-Oscar, sein Opus übertitelt. Was Cannes für das „Weiße Band“ war, wurde der „César“, der französische Filmpreis, für den „Propheten“: Audiard räumte bei der diesjährigen Prämierung ab.

Man kann froh sein, nicht zwischen der subtilen Erzählung übermächtiger Gewaltstrukturen („Das weiße Band“) oder dem brachialeren, aber um nichts weniger authentischen Tableau eines südfranzösischen Gefängnisses („Ein Prophet“) entscheiden zu müssen. Haneke wie Audiard sind plausible Vorarbeiter des europäischen Gegenwartskinos, vielleicht zwei Seiten einer Medaille, zwischen denen sich europäischer Film abspielt.

Übermächtige Gewaltstrukturen

Auch die religiöse Konnotation ist eine Verbindungslinie zwischen den beiden Regiegrößen: „Das weiße Band“ spielt sich auf der Folie protestantisch-christlicher Hermetik hoch, während „Ein Prophet“ – trotz des teilweise muslimischen Hintergrunds des Plots – ein mehr allgemeines religiöses Motiv aufnimmt: Der Film erzählt die Geschichte des 19-jährigen Malik El Djebana, der im Gefängnis vom Handlanger eines korsischen Paten zum Weltenwanderer zwischen Abendland und Orient, aber auch zwischen Eingesperrtsein und Freiheit aufsteigt. Auf diese Weise vereinigt er in sich die Symbolik einer Heilsgestalt, wenn auch in gebrochener und mitunter verquerer Weise.

Das alles mag in einem übertragenen Sinn religiös konnotiert sein. Aber dennoch bleiben die brutalen Seiten des Lebens, respektive dieses Arrest-Kosmos verstörend präsent: Ein junger Mann kommt zwar nicht unschuldig, aber doch nicht wirklich schuldig in die Ausnahmewelt eines überbelegten Gefängnisses, in denen die korsische Mafia das Sagen hat. Auch die Aufseher sind Teil dieser Wirklichkeit, und ein Menschenleben gilt nicht viel.

César Luciano, der korsische Pate, hat ein Auge auf Malik, der halb Korse, halb Maghrebiner ist, geworfen. Um ihn an sich zu binden, verlangt er von Malik den Mord an einem Mitgefangenen, andernfalls droht er an, Malik zu töten. Der junge Mann fügt sich, wird der Lakai des Korsen-Bosses – emanzipiert sich aber im Lauf der zweieinhalb Filmstunden von seinem Herrn und Meister.

Erlösung wird, aber sie kann nicht geschehen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen: So lautet die Spur, auf die dieser Film aus ist. Und das heißt Mord ebenso wie Drogengeschäfte, die Malik vom Gefängnis aus, aber auch bei seinen Freigängen, betreibt.

Vom Jüngling zum „Vater“

Aber dieser Prophet ist nicht nur in Unterweltgeschäfte verstrickt. Es wächst ihm auch eine Vaterrolle zu, denn sein Freund draußen muss Frau und Kleinkind zurücklassen, weil er an Krebs zugrunde geht: Als unbedarfter Jüngling ist Malik in den Häfen gekommen, als „Vater“ verlässt er es, und dazwischen liegt die Mannwerdung, die so gestaltet wird, dass er die korsische Mafia wie den maghrebinisch-islamistischen Klüngel, die sich die Gefängnisherrschaft teilen, in der Tasche hat.

Milieustudie, Parabel und Thriller, die Versatzstücke und Ingredienzien aller dieser Genres hat Regisseur und Drehbuch-Koautor Jacques Audiard zusammengemixt zu einem betörenden wie verstörenden Drama. Keine heile Welt, aber doch irgendwie ein Weg zum Heil, der im wörtlichen Sinn auch mit Leichen gepflastert ist.

Ein Keim an Perspektive

Das alles kulminiert in diesem „Propheten“, der auf der einen Seite zeigt, dass das Leben nicht zu haben ist, ohne (mit)schuldig zu werden. Der aber andererseits auch aufweist, dass dieses Schuldig-Werden keineswegs jeden Keim an Perspektive und Versöhnung auszulöschen vermag.

Der Erfolg von „Ein Prophet“ beruht nicht nur auf dem Plot und dessen genialer Umsetzung von Regisseur Audiard. Besonders die Darstellung des Malik durch Tahar Rahim trägt wesentlich dazu bei. Dabei ist die Hauptrolle überhaupt einer der ersten Spielfilmaufritte von Rahim. Regisseur Audiard verwandte Monate auf Casting und Vorbereitung dieses Hauptdarstellers. Eine Mühe, die sich gelohnt hat.

Neben Rahim verblasst Niels Arestrup, der den Korsen-Boss César Luciano gibt. Das liegt nicht so sehr an der Schauspielkunst, sondern an der Anmutung des soignierten Gentleman-Gauners, die diese Darstellung immer umgibt, obwohl die Brutalität des Syndikats-Kapos alles andere als respektabel ist. Doch dieses vergleichsweise unbedeutende Manko kann nicht schmälern, dass Jacques Audiards „Ein Prophet“ ein grandioser Film ist.

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