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Im hohen Norden Europas sind die Wälder nicht nur Wälder mit Reh lein, Elch und Fuchs, sondern auch Orte der Trolle, Kobolde und ähnlich düs teren Geschöpfen, die von den Menschen ringsum nicht erkannt werden. Jedenfalls nicht gleich. Was sich in den weißen Sommernächten und den finsteren Wintertagen abspielt, überschreitet Grenzen, auch der biederen Vorstellungskraft. Dem nimmt sich der iranisch-schwedische Regisseur Ali Abbasi in "Gräns", auf Neudeutsch "Border", an, das auf dem gleichnamigen Roman von John Ajvide Lindqvist beruht, der auch das Drehbuch mitverfasst hat.

Zwischen dem Thriller-und dem Horror- Genre changiert "Border", und was am Ende herauskommt, ist erstklassiges nordisches Kino; der Preis "Un certain regard" in Cannes 2018 sowie diverse andere Preis-Nominierungen, darunter eine für den Make-up-Oscar, deuten an, dass es sich um europäisches Kino vom Feinsten handelt.

Tina (exzeptionell: Eva Melander) ist eine schwedische Zollbeamtin, die bei einer Fährverbindung zwischen Dänemark und Schweden Dienst tut und sich dadurch auszeichnet, dass sie präsumtive Schmuggler oder andere Täter "riechen" kann. Der junge Mann, der illegalerweise Alkohol ins Land zu bringen sucht, kann davon ebenso ein Lied singen wie andere, die es mit dem Gesetz nicht ganz so genau nehmen.

Als Tina auch bei einem unauffälligen Geschäftsmann die Untat riecht, werden die Zollwächter bei dessen Handy fündig - und entdecken eine Datenkarte mit kinderpornografischem Material. Tina wird nun bei den Ermittlungen gegen ein Pädophilen-Netzwerk eingesetzt.

Der gute dunkle Wald

Dabei ist Tina alles andere als eine ausgeglichene Zeitgenossin: Sie ist körperlich (auch genital) verunstaltet und lebt ihr Leben nach der Zoll-Arbeit in der Einschicht im Wald. Ihre Bleibe teilt sie sich mit Roland, einem Kampfhundezüchter, an den sie aber nur ein platonisches (oder überhaupt kein) Verhältnis bindet.

Nur im dunklen Wald ist Tina in ihrem Element, Fuchs und Elch fressen ihr aus der Hand, als ob diese Ihresgleichen wären. Ihren halb dementen Vater besucht Tina im Pflegeheim, ohne hinter dessen dunkles Geheimnis, dass der mit sich herumträgt, zu kommen.

Doch dann tritt Vore (kongenial: Eero Milinoff) in Tinas Leben -auch er ein Außenseiter und ähnlich verunstaltet wie Tina. Sie glaubt auch in ihm einen Delinquenten zu erkennen, entdeckt aber nach und nach einen nicht nur Seelenverwandten, der Tina zeigt, wo ihr Platz in diesem unwirtlichen Leben zu sein scheint, der aber erst recht das Dämonische in beider Existenz zum Vorschein bringt.

Dunkle Geheimnisse, mythische Vergangenheiten, die die Gegenwart durchdringen, die brandaktuelle nordländische Gesellschaft, deren reale pädophile Netzwerke die Folie der düsteren Erzählung bilden, werden in "Border" zu einer dichten filmischen Verstörung verwoben. Ähnliches ist auch aus Lars von Triers "Antichrist" (2009) erinnerlich, doch im Gegensatz zum dänischen Regie-Berserker setzt Regisseur Abbasi bei "Border" auf leisere, aber umso eindringlichere, mitnehmende Töne und Bilder, die die verzweifelten Protagonisten und die sie umgebenden Menschen in eine eigentümliche Betörung transferieren.

Die Botschaften in "Border"

Die Botschaften, die in "Border" versteckt sind, scheinen vielfältig. Da ist die Grenze zwischen Menschlichem und Animalischem, die nicht mehr so klar ist, wie es ein Menschlein von heute gerne hätte. Auch die Grenzüberschreitungen zwischen sinnlicher und übersinnlicher Welt sind mit Händen zu greifen -und entpuppen sich bei aller Dämonie auch als etwas Normales, das dir und mir widerfahren kann (O Gott!).

Und natürlich hält "Border" auch als politischer Kommentar zur Lage her. Schon der Titel spricht ja die Grenzen an, die gerade die populistischen Versucher so wirkmächtig im Munde führen. Außerdem bekommen die Marginalisierungen von Minderheiten im Film einen expliziten und impliziten Stellenwert. Tina und Vore sind auch zwei Geschundene. Aber geschunden heißt noch lang nicht gut: Die Opfer einer Gesellschaft sind nicht automatisch gut. Sie können, erzählt "Border", die Dämonie faustdick hinter den Ohren haben.

Border (Gräns) S/DK 2018. Regie: Ali Abbasi. Mit Eva Melander, Eero Milonoff, Jörgen Thorsson. Lunafilm. 150 Min.

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